Das kleine, aber sehr feine Schiele Museum in Tulln beeindruckt dieses Jahr mit gleich zwei wunderbaren Sonderausstellungen.
Wer Räume voller Schiele Werke erwartet ist hier in Tulln wahrscheinlich enttäuscht werden. Wer aber mehr über den Menschen Schiele, seine Entwicklungen und sein Leben erfahren möchte, der kann hier Stunden verbringen.
Dennoch ganz ohne seine Werke kommt natürlich kein Schiele Museum der Welt aus und so wird jedes Jahr in der Schatzkammer des Museums eine andere Sonderausstellung zu einem bestimmten Thema präsentiert.
Egon Schiele. Nackt!
Bis zum 13. Oktober 2024 widmet sich die Schatzkammer einem Kernthema des Schaffens des Jahrhundertkünstlers und präsentiert elf Zeichnungen, Aquarelle und Gouache-Arbeiten aus einer bedeutenden Privatsammlung, die man wahrscheinlich so schnell und in dieser Konzentration nicht mehr so schnell zu Gesicht bekommen wird. Es lohnt sich also der Ausflug nach Tulln unbedingt.
Schwerpunkt der Arbeiten bilden die Jahre 1910 bis 1912, die als die großartigste und zugleich umstrittenste Schaffenszeit des Künstlers gilt.
Die radikale Nacktheit der Darstellungen brach nicht nur ein zentrales Tabu, sie bot auch die Möglichkeit der Entdeckung des menschlichen Körpers und damit des Menschen selbst.
Der Selbstakt nimmt bei Egon Schiele einen besonderen Stellenwert ein und nicht immer geht es vorrangig um Sexualität: „Oft verwischt er die Merkmale seines Aussehens so stark, dass der Übergang von Porträthaftigkeit zur überindividuellen, generellen Darstellung ebenso fließend ist wie die Gendergrenzen seiner Selbstsicht. Schiele ist getrieben von der Lust am Rollenspiel, dem ständigen Wechsel von Wahrhaftigkeit und theatralem Auftritt.
Beide Aspekte greifen so stark ineinander, dass sie in großartigen Blättern zur Einheit werden“, stellt Kurator Christian Bauer fest.
Übrigens ein Tipp: Wer die Möglichkeit hat, mit Christian Bauer über Egon Schiele, Erwin Osen oder Alessandra Comini zu sprechen oder an einer Führung mit ihm teilzunehmen, sollte diese Möglichkeit unbedingt nutzen.
Mehr über die einzelnen Bilder könnt ihr hier in der Broschüre erfahren. Dennoch – diese Blätter live gesehen zu haben ist noch einmal ganz etwas anderes.
Wer noch nie im Schiele Museum in Tulln war, sollte sich auch Zeit für die weitere Ausstellungsteile nehmen. Mit einem Audioguide erfährt man mehr über die Eltern von Schiele, seine Schwestern Melanie und Gerti, seine Geliebte Wally Neuzil und seine Ehefrau Edith Harms.
Ein Stockwerk höher befindet sich der Forschergang, der unterschiedliche Zugänge zum Künstler aufzeigt und in dem auch Diethard und Elisabeth Leopold erzählen, wie es zu ihrer weltgrößten Schiele Sammlung kam. Dann geht es einmal ums Eck und hier taucht man gemeinsam mit Alessandra Comini in einzelne Lebensstationen Schieles ein. Das besondere an diesen Erzählungen ist, dass es Menschen sind, die Schiele wirklich erlebt haben. Comini hat diese Interviews in den 1960er Jahren mit den Schwestern Schieles und seiner Schwägerin gemacht.
An einer Station spricht sie auch selbst über ihre Begegnungen mit den Familienmitgliedern Schieles.
Schließlich steht man dann vor der zweiten Sonderausstellung, die sich dieses Mal Erwin Osen widmet. Osen war ein enger Freund Schieles und vom Charakter her anscheinend fast das Gegenteil zu Schiele. Osen war extrovertiert und in vielen Kunstrichtungen zu Hause: er war Tänzer, Musiker, Bühnenbildner, Pantomime und er scheint eine wesentliche Triebfeder zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper auch für Schiele gewesen zu sein.
In der Sonderausstellung haben mich besonders seine Porträts der Patienten der „Irrenanstalt“ Steinhof beeindruckt, die er 1913 im Auftrag des Mediziners und Kunsthistorikers Adolf Kronfeld gemalt hat. Es entsteht eine Serie von 12 Bildern, von denen zwei in dieser Ausstellung zu sehen sind.
Außerdem sind zwei Entwürfe von ihm zu Richard Wagners Parsifal zu sehen, die er als 22-jähriger für die erste Aufführung außerhalb Bayreuths am Neuen Deutschen Theater in Prag als Ausstattungschef realisieren darf. Bühnenbilder und Kostümentwürfe beeindrucken und er wird von der europäischen Presse gefeiert. Die Figur des „Klingsor“ beeindruckt ihn, da er sich in ihm wiedererkennt: Die Maske und die Perücke des Klingsors sind als Entwurf in der Ausstellung zu bewundern.
Zu den Ausstellungen gibt es auch immer wieder weiterführende Gespräche, wie zum Beispiel jenes zwischen Christian Bauer und Manuel Rubey. Wie mir das gefallen hat und worüber gesprochen wurde, erzähle ich euch hier.
Das Museum ist Dienstag bis Sonntag und Feiertag von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Jeden 2. und 4. Sonntag im Monat gibt es geführte Rundgänge um 13:00 Uhr
Tipp: Begebt euch doch an regenfreien Tagen auch auf den Egon Schiele Weg in Tulln und besucht auch das Egon Schiele Geburtshaus am Bahnhof. Mehr über Tulln erfahrt ihr hier auf ask-enrico.com