Eindrücke aus dem Land jenseits des Waldes von Josef Wallner, Fotografien von Norbert Eisner
Die Versuchung ist groß: Eine Geschichte über Siebenbürgen einzuleiten mit der Verwunderung der Freunde über das Reiseziel („das ist doch in Rumänien?") oder mit der Behauptung, dass Siebenbürgen bis heute herzlich wenig mit Rumänien oder zumindest seinen Klischees zu tun habe.
Ich widerstehe beiden Versuchungen, zumindest in der Einleitung, und Dracula sowieso. Warum wählten Norbert Eisner, der Fotograf, und ich dann Siebenbürgen als Reiseziel für Ostern 2015? Am attraktiven Wetter ist es sicher nicht gelegen, denn Siebenbürgen ist ein Hochland – mehr muss ich wohl nicht sagen. Nein, der Name machte mich neugierig, schon vor langer Zeit. Siebenbürgen – das klingt doch nach Märchenland, mit Burgen, dunklen Wäldern, sanften Hügeln und Städten mit wehrhaften Mauern und schiefen Häusern, aus deren mächtigen Kaminen der Rauch lustig gegen Himmel steigt, oder? Und wissen Sie: Genau so ist es in Siebenbürgen, aber nicht nur, denn Märchen gibt's halt doch nur im Märchen.
Von Ungarn über Österreich nach Siebenbürgen und retour: Wir spinnen, entspinnen und verheddern uns (ein wenig) in den Fäden der Geschichte
Unsere Reise nach Siebenbürgen, dem ungarischen Erdély und rumänischen Transilvania oder Ardeal, beginnt in Ungarn. Und das ist kein Widerspruch, denn Siebenbürgen war ein ganzes Jahrtausend lang mit dem ungarischen Reich, Staat oder wie immer die verwaltungs- und herrschaftlichen Konstrukte alter Zeiten nennen mag, verbunden; manchmal enger, manchmal lockerer.
Warum ist Siebenbürgen dann heute rumänisch? Viele Ungarn würde antworten, dass fragten sie sich auch, für sie sei Erdély das ungarische Südtirol. Andere werden diese Polemik überhaupt nicht verstehen. Schließlich seien doch drei Viertel der Siebenbürger Rumänen. Ein Fünftel sind Ungarn; dazu kommen paar Deutschsprachige, nur mehr rund 36.000 (einschließlich jener im Banat) von weit über sieben Millionen Siebenbürgern. Die Vorfahren der deutschsprachigen Siebenbürger wurden im Mittelalter von den ungarischen Königen aus verschiedenen Regionen des deutschen Sprachraums ins Land geholt. Um 1900 lebten noch über eine halbe Million Deutschsprachige in Siebenbürgen (bei über vier Millionen Einwohnern). Sie gründeten die siebenbürgischen Städte und kultivierten weite Teile des Landes. In Siebenbürgen leben auch viele Roma und wenige Ukrainer, Serben, Kroaten und Slowaken. Noch um 1930 war dieses selbst für das alte Mitteleuropa recht bunte Bild noch weit gescheckter. Der nationalistische Irrsinn, der Rassenwahn und seine Folgen ließen Juden und Armenier aus Siebenbürgen fast gänzlich verschwinden und die Zahl der Ungarn und vor allem jene der Deutschsprachigen stark zurückgehen. Angehörige der deutschen Volksgruppe Rumäniens waren, wie viele Deutsche in den Ländern Mittel- und Osteuropas, auch selbst nicht vor der Ansteckung mit Nazi-Gedankengut gefeit. Später ließen die Kommunisten sich die Deutschsprachigen von der BRD abkaufen, für über 200.000 Menschen wurde Kopfgeld bezahlt.
Die letzte große Auswanderungswelle der Deutschen, treffenderweise Exodus genannt, gab es nach 1989. Sie zerstörte die jahrhundertealte Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen wohl endgültig. Ganze Sachsendörfer zogen Richtung Deutschland. Auf den ersten Blick lässt das staunen: Was die Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Russland nach dem Zweiten Weltkrieg, die kommunistischen Enteignungen und Repressalien (in Rumänien gab es allerdings keine Vertreibung) und die Freikäufe nicht geschafft hatten, gelang mit der beginnenden Demokratisierung: der Abzug fast einer ganzen autochthonen Volksgruppe. Wer näher hinschaut, versteht es: Die Chance auf ein besseres und vor allem planbares, sicheres Leben in einem Land, in dem man nicht Angehöriger einer Minderheit ist – wer würde sie nicht ergreifen?
Macht es einen Unterschied, ob ein Land auf Grund eines freien Entschlusses, auch wenn er aufgrund widriger Lebensumstände zustande gekommen ist wie bei den Siebenbürger Sachsen, verlassen wird oder ob man gehen muss? Ich weiß es nicht. Was bei beiden Gruppen, den Vertriebenen und den freiwillig Gegangenen, auffällt: Viele Menschen scheinen lange Zeit in der Verklärung der alten Heimat ein probates Mittel gefunden zu haben, mit deren Verlust fertig zu werden. Oft hatte man das Gefühl, dass die Gegangenen und die Vertriebenen, zumindest bis es wieder einfacher war, in den Osten zu reisen, in ihrer Erinnerung stecken geblieben waren. In Brünn, Aussig, im Banat oder in Schlesien hätten sie wahrscheinlich nie so traditionsgebunden gelebt und gefühlt wie später in München oder Augsburg, wo es auch keine Möglichkeit gab, die Traditionen weiterzuentwickeln. Das gilt auch für die Klagen der Siebenbürger Sachsen, gleich ob sie in Rumänien geblieben oder gegangen sind, über den Verlust der legendären Gemeinschaft in den Sachsendörfern. Nur, hätte sich die wohl genauso gewandelt, wären alle geblieben. (Und bedenkt man den sozialen Druck, den so eine Dorfgemeinschaft auf die nicht ganz Angepassten erzeugen kann, ist das zumindest nicht nur negativ zu bewerten.)
Eine leidige Folge der nationalistischen Zeit ist, dass wir es uns zur Gewohnheit gemacht haben, einen Staat mit einer Ethnie gleichzusetzen – und uns vielleicht deshalb mit Migranten- und Flüchtlingsströmen noch schwerer tun. (Eine Herausforderung war Zuwanderung wohl immer.) Nicht nur die heutige Zuwanderung ist für viele von uns ungewohnt, sondern auch, dass in einer Region seit Jahrhunderten, gar noch länger, Menschen unterschiedlicher Herkunft und/oder Religion (was das Ganze in Siebenbürgen noch vertrackter macht) leben. Komplizierter wird's noch, wenn die Einwohner eines Staates über Jahrhunderte verschiedenen kulturellen Einflüssen ausgesetzt waren. Siebenbürgen war, und ist es wahrscheinlich noch, Mitteleuropa, im Gegensatz zum Rumänien hinter den Karpaten. Ich bitte Sie, werte Leserschaft, letzten Satz völlig wertfrei zu verstehen. Transsilvanien war schlichtweg anderen Einflüssen ausgesetzt als Moldau oder die Walachei. Das Ungarische, Deutsche, später Deutsch-Evangelische, und Habsburgische dominierten, auch wenn das Doppeladlerisch-Katholische in weiten Gegenden Siebenbürgens weniger als im Rest Altösterreichs zu spüren ist. Die Siebenbürger Sachsen, wie die meisten deutschsprachigen Siebenbürger genannt wurden und werden, gleich woher sie stammten, waren eben Protestanten…
Die Rumänen mussten sich ihren Platz in der siebenbürgischen Gesellschaft im Lauf der Jahrhunderte erst hart erkämpfen. Sachsen, Ungarn und Szekler, eine ethnische Gruppe, die einen eigenen ungarischen Dialekt spricht, teilten das Land als die in der Entwicklung schon weiter vorangeschrittenen Volksgruppen politisch und wirtschaftlich untereinander auf. Sie waren dabei durchaus selbstbewusst und erstritten sich für die Sicherung und Kultivierung des Landes viele Privilegien und vor allem Selbstverwaltung und Freiheit. Aber wie das halt so ist, die Rechte, die man selbst erkämpft hat, will man anderen Gruppen dann nicht so gerne gewähren. In der Doppelmonarchie spielten die Ungarn, wenn auch weniger erfolgreich als anderswo, ihr nationalistisches Spiel. Trotzdem waren die siebenbürgischen Rumänen, wenn auch die Verbindungen mit dem jungen rumänischen Königreich jenseits der Südkarpaten enger wurden, mitteleuropäisch geprägt.
Das alte Österreich-Ungarn war von seinen Volksgruppen her ein ziemlich bunter Haufen, in Glaubensfragen aber überwog das Gelbweiß der Katholiken. Nicht so in Siebenbürgen. Dort war stets auch die Orthodoxie präsent. Als im 17. Jahrhundert das Land für lange Zeit habsburgisch wurde, ergab sich ein Problem: Nicht-Katholiken hatten nicht die gleichen Rechte wie Katholiken. Die Lösung: Man erkennt den Papst an und wird griechisch-katholisch. Und so war Siebenbürgen lange Zeit von den Griechisch-Katholischen geprägt – und den Protestanten. Die Vielfalt an protestantischen Kirchen lässt staunen. Calvinisten, Lutheraner, Evangelisch-Lutherische, Evangelische Kirche AB und Unitarier – sie alle sind in Siebenbürgen vertreten. Vor allem die deutschsprachigen Siebenbürger wurden protestantisch und durften es selbst unter Habsburgs Zepter bleiben. Nachschub erhielten sie, als Maria Theresia störrische, weil nicht wieder katholisch werden wollende Untertanen aus den alpinen Erbländern gen Siebenbürgen verfrachten ließ. Römisch-Katholisch sind in Siebenbürgen vor allem Ungarn und Szekler, sofern sie nicht der unitaristischen Kirche angehören. Alles klar? Dann ist dem Kapitel der komplizierten Religionsverhältnisse in Siebenbürgen nur noch anzufügen, dass in den Nachwende-Jahren mehrere Freikirchen wie die Baptisten in Siebenbürgen recht erfolgreich waren.
Gleich, welchem Glauben sie angehören, Ungarn, Szekler und Deutschsprachige verbindet eine starke regionale Identität. Das gilt durchaus auch für die Rumänen. Sie betonen gerne, wie anders als sie in Mentalität und Lebensführung seien als ihre Landsleute jenseits der Karpaten. Andererseits gibt es bei den Rumänen auch eine stark ausgeprägte nationalrumänische Identität, was dem Reisenden schon an den überdimensionierten rumänischen Trikoloren, die von den kleinsten Hütten wehen, sehr eindringlich vor Augen geführt wird. Die Konflikte zwischen den Volksgruppen, vor allem zwischen (den auch untereinander zerstrittenen) Ungarn und Rumänen, sind mit der Wende auch nicht verschwunden. Die Deutschsprachigen haben bei den Rumänen ein gutes Image, für ethische Konflikte sind sie schon zu wenige und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften wie Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit und Fleiß werden von den Rumänen geschätzt, und zwar, wie sich kürzlich gezeigt hat, in einem solchen Ausmaß, dass Deutschsprachige bis zum Amt des rumänischen Staatspräsidenten aufsteigen können.
Nach außen hin, für uns Touristen, werden diese nicht gerade unkomplizierten Verhältnisse wenig sichtbar – mit einer Ausnahme: dem Bau vieler orthodoxer Kirchen. Für welche Gläubige werden sie errichtet? Nach wie vor geht es um die sichtbare Hoheit über das Land. Wo orthodoxe Kirchen stehen, ist eben Rumänien. (Zu einem echten siebenbürgischen Dorf gehören mindestens drei Kirchen – eine katholische, eine evangelische und eine griechisch-katholische, wie uns ein befreundeter ungarischer Siebenbürger aus Klausenburg lächelnd erklärte.) Konfliktreich gestaltet sich auch das Verhältnis vieler Siebenbürger zur wachsenden Volksgruppe der Roma, deren Hütten oft am Rande der Dörfer errichtet wurden. Konflikte mit den Deutschsprachigen gibt es, wie erwähnt, so gut wie keine mehr. Jetzt kann man die deutsche Geschichte dieses Landstrichs in Ruhe für den Tourismus nützen. Die Kaffeehäuser und Hotels in Schässburg und Hermannstadt tragen deutsche Namen wie „Hotel am Ring", „Gasthof zur alten Post" oder „Café Wien", die Gassen sind zweisprachig ausgeschildert (zwei- oder dreisprachige Ortschilder sind in Siebenbürgen keine Seltenheit), selbst die Hermannstädter Kanaldeckel zieren der rumänische und der deutsche Ortsname. Einheimische, die siebenbürgisches Deutsch gesprochen hätten, aber wir allerdings fast keine mehr getroffen.
Für die wenigen Verbliebenen gibt es noch deutschsprachige Zeitungen, Buchhandlungen und Radiosender (zumindest kennen wir einen im Banat). Die traditionsreichen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache in Hermannstadt, Kronstadt, Schässburg und anderen Orten wie Rosenau sind beliebt. Allerdings ist für die überwältigende Mehrheit der Schüler Deutsch eine Fremdsprache, sie stammen aus rumänischen Familien. Auch die Lehrkräfte mit Deutsch als Muttersprache sind fast vollständig verschwunden. Das Siebenbürgisch-Sächsische, von den Siebenbürgern Siweberjesch Såksesch genannt, ist – laut Wikipedia – eine moselfränkisch geprägte Reliktmundart und dem Luxemburgischen sehr ähnlich. Das ländliche Siebenbürgisch würden wir wahrscheinlich schwer verstehen, das Hermannstädter und Kronstädter Sächsisch schon eher, in beiden Stadtdialekten wurden sogar Erzählungen und Gedichte geschrieben. Durch die deutsche Auswanderung hat sich das in siebenbürgischen Schulen gelehrte und gesprochene Deutsch verändert. Selbstverständlich war das siebenbürgische Deutsch auch von rumänischen und madjarischen Lehnwörtern sowie von vielen Austriazismen durchzogen. Jetzt wird in Rumänien bundesdeutsches Deutsch gelehrt.
Deutsche Lehnwörter und Austriazismen haben sich in allen auf dem Gebiet der alten Monarchie gesprochenen Sprachen erhalten, so wie auch das Österreichische bekannterweise ungezählte slawische, jiddische und romanische Einsprengseln hat. In den Gebieten der ehemaligen Monarchie findet sich Österreichisches meiner Beobachtung nach vor allem noch in zwei, für unser Leben nicht unwesentlichen Bereichen, der (handwerklichen) Arbeit und dem Essen, ob´s der grenadirmars auf einer Kronstädter Speisekarte, die šale Kaffee in Pressburg oder der špricar in einer Marburger pušenšank ist.
Apropos österreichisches und deutsches Deutsch: Die Dominanz der deutschen Medien verändert das in Österreich gesprochene Deutsch gründlich und nachhaltig. Das Österreichische wird sterben, das betrifft nicht nur die (als Exempel schon etwas angefaulten) Paradeiser, sondern Sprachfärbung und Satzbau. (Sind Sie noch gegangen oder gingen Sie bereits?) In den einst mit Österreich verbundenen Ländern Mittel- und Osteuropas hat dieser Prozess schon lang vorher eingesetzt. Zuerst hat der Kommunismus für eine Verdrängung des österreichischen Deutsch aus den Ländern Mittel- und Osteuropas gesorgt. Nach der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen und Mähren unterrichteten Lehrer aus Ostdeutschland die tschechische Jugend im Deutschen. Und so wurde aus dem Kasten der Schrank und dem Sessel der Stuhl. Nach der Wende ging dieser Prozess weiter, wirtschaftlich behaupteten wir uns höchst erfolgreich auf den neuen alten Märkten, kulturell, oder umfassender aber unbestimmter gesagt, emotional, wäre meinem Eindruck nach noch Luft nach oben gewesen. (An dieser Stelle sei ein Gruß an meine slowenischen Freunde gestattet. Sie waren schon etwas verwundert, als im Sommer 2014 das Österreich Institut in Laibach seine Pforten schloss.)
Sprache verändert sich eben – und das ist nicht aufzuhalten, was bis auf einige Wermutstropfen (siehe oben) ja erfreulich ist. Aber: Wie geht man mit einer Sprache um, die von den Bewohnern eines Landes im Alltag kaum mehr gesprochen wird? Die bewusste Aufrechterhaltung eines auch deutschen Bildes in vielen siebenbürgischen Städten hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Wie museal soll der Alltag in einer Stadt sein? Wie macht man den Anteil einer fast nicht mehr existenten Volksgruppe an der Entwicklung einer Stadt sichtbar? Wird hier die Welt von gestern konserviert? Es ist traurig, eine so lange mit einer Region verbunden gewesene Kultur aus dieser verschwinden zu sehen, aber sie zu einem großen Teil künstlich zu konservieren? Schulen mit deutscher Unterrichtssprache mögen nicht nur aus Gründen der Tradition, sondern auch aus arbeitsmarktpolitischen Überlegungen ihre Berechtigung haben, aber anderes lässt vermuten, dass es mehr aus touristischen Motiven, denn aus Bedarf der Bürger gepflegt wird.
Vielleicht braucht aber nicht nur der Tourismus, sondern auch die Siebenbürger aller Nationalitäten das Sichtbarmachen der ehemaligen Vielfalt – als (neuerdings) geschätztes wesentliches Element ihres Landesbewusstseins. Diese starke regionale Identität – vielen fällt es schwer, sie zu verstehen. Wir sind doch alle Europäer, Weltbürger gar, das andere hat doch einen provinziellen, gar nationalistischen Mief, oder? Kann sein, muss aber nicht. Vielleicht denken wir zu sehr an die uns wohl vertrauten Regionalismen, an polternde Landeshauptleute vor trachtigem Publikum. Wie aber ist es, wenn Menschen zwar die gleiche Hochsprache sprechen, aber ziemlich anders ticken, selbst in unserer globalisierten Welt? Wer von Ihnen schon gemeinsam in einem Projekt mit norddeutschen Partnern gearbeitet hat, weiß wahrscheinlich, was ich meine. (Auch das möge bitte wieder vollkommen wertfrei verstanden werden.) Manchmal noch weit ausgeprägter ist das unterschiedliche Ticken zwischen den transsilvanischen und den anderen Rumänen.
Dass das für die anderen siebenbürgischen Volksgruppen noch mehr gilt, liegt auf der Hand – ebenso, dass dieses Phänomen in vielen Regionen des alten Österreichs zu beobachten ist. Sprechen Sie einmal mit einem Triestiner, wie sehr oder besser gesagt wie wenig er sich dem italienischen Staat verbunden fühlt und welche Reminiszenzen er für Kakanien hegt. Sie werden erstaunt sein. Die Mischung aus Nostalgie, wirtschaftlichem Interesse und tatsächlichem Leidensdruck aufgrund unterschiedlicher Mentalität treibt interessante, aber auch seltsame Blüten. Sie durchwegs als Spinnereien abzutun, haben sie sich nicht verdient. Vielmehr sollten wir auf dem Wohlwollen in den Regionen Gemeinsames aufbauen – im Rahmen der Europäischen Union. Aber dazu fehlen uns in Österreich, trotz vieler Projekte, leider das Herzensinteresse und ein tieferer Bezug zu unserer eigenen Geschichte. Eine schöne Landschaft und erfolgreiche Schifahrer reichen.
So haben wir auch die Deutschsprachigen in den ehemaligen Ländern der Donaumonarchie vergessen, im Gegensatz zu unseren bundesdeutschen Nachbarn. Warum? Das Argument, dass wir weniger Geld zur Verfügung haben, überzeugt nicht. Es interessiert uns ganz einfach nicht, obwohl uns die Menschen und die Regionen, in denen sie leben, doch weit mehr angehen könnten als die Deutschen.
Der Ursachen sind viele – und sie liegen auf beiden Seiten, auf der österreichischen und der der Deutschsprachigen in den ehemals österreichisch-ungarischen Gebieten. Letztere, sie bezeichnen sich heute fast durchgängig als Deutsche, was sich für uns aufgrund der anderen Besetzung des Begriffs vielleicht seltsam anhört, orientierten sich bereits in der Monarchie mehr nach dem Deutschen Reich als dem multinationalen Österreich-Ungarn. Das gilt besonders für die Deutschen, die mit anderen Volksgruppen in einem Kronland Österreichs oder einer ungarischen Region zusammenlebten, so auch für die Siebenbürger Sachsen. Noch dazu waren diese evangelisch, in anderen Gebieten, wie der Untersteiermark, liefen die Deutschsprachigen erst im 19. Jahrhundert in Scharen zu den Protestanten über.
In den übernational denkenden österreichischen Kreisen wurden vor allem die Böhmen-Deutschen, jetzt noch immer mit der von den Nazis bevorzugten Bezeichnung Sudetendeutsche punziert, aufgrund ihrer nicht gerade konstruktiven Politik in der Spätzeit der Monarchie als Totengräber des alten Österreichs gesehen. Umso verwunderlicher war es für viele, dass diese, aus welchen Gründen auch immer, mehrheitlich sehr deutschnational orientierten Menschen im Zuge der Vertreibung 1945 plötzlich ihr altösterreichisches Herz entdeckten. (In Österreich versuchte man sich mit Händen und Füßen, vor allem, aber nicht nur aufgrund der prekären Versorgung mit Lebensmitteln, gegen einen Zuzug dieser Deutschsprachigen zu wehren.)
Warum sollte man sich im neuen Österreich daher für diese Deutschen interessieren? Diejenigen, die vertrieben wurden, konnte man politisch (viele Nazis) und wirtschaftlich (kein Platz an den Futtertrögen) nicht brauchen, diejenigen, die bleiben durften, also die Siebenbürger Deutschsprachigen, interessierten die Österreicher noch weniger (man hatte hierzulande auch wirklich andere Sorgen) und außerdem: Das Interesse an der Entwicklung der anderen Ländern der ehemaligen Monarchie und ihren Menschen schwand generell sehr rasch. Zum einen, weil die so engen Bande durch den Kommunismus radikal gekappt worden waren, was sich erschreckend schnell in einem ziemlichen Unwissen über die Regionen Mitteleuropas bemerkbar gemacht hat, zum anderen, weil unser Land in seinem neuen Selbstbild die Fäden zu seiner Vergangenheit nur sehr selektiv wieder aufnahm. Warum das?
Es war 1945 und in den folgenden Jahren schlichtweg notwendig, ein neues Österreichverständnis zu entwickeln. Dazu zählte auch die Abgrenzung von allem „Deutschen", ein kleiner Aspekt davon betraf auch die Deutschsprachigen im ehemaligen Österreich-Ungarn. Die Leute hatten schlichtweg alles satt, was mit Deutsch zu tun hatte. Was mit dem Deutschnationalismus in der Monarchie begann, der allerdings neben den diversen slawischen Nationalismen und dem ungarischen existierte, und sich in der Ersten Republik bei vielen, auch, aber nicht nur, aus wirtschaftlichen Gründen, zu einer wahren Sehnsucht nach Zugehörigkeit zum Deutschen Reich steigerte, kulminierte in Teilen der Bevölkerung in der unfassbaren deutschnationalen Begeisterung rund um den Anschluss, ein wahrer Hexensabbat wie Carl Zuckmayer es nannte. Eine gewisse kulturelle Unverträglichkeit, das Besetzen von Posten durch Deutsche aus dem Altreich und vor allem der Verlauf des Zweiten Weltkriegs ließen die Österreicher immer weniger als deutsch und immer mehr österreichisch empfinden.
Nur, was war dieses Österreichische? Eine neue Deutung musste gefunden werden! Ihre Grenzen wurden recht eng gezogen, der räumlichen Größe der Alpenrepublik angepasst. Das freundliche, kleine Land mit friedfertigen Menschen, bald beide neutral, selbstverständlich, schönen Bergen und einer großen Vergangenheit war endgültig geboren. (Schwanger war man damit schon in der Ersten Republik.) Aus der Geschichte pickte man sich eben das heraus, was ins neue Biedermeier passte, also vor allem die Kunst und ein paar babenbergische und habsburgische Versatzstücke, gespickt mit Legenden, wie jenen von der rot-weiß-roten Fahne, dem Gefangenhalten von Richard Löwenherz und der Türkenabwehr – samt Kaffeeimport. (Letztere ist bis heute eine der wenigen historischen Erzählungen, die Österreich mit seinen südöstlichen Nachbarn teilt.)
In Hinblick auf die damalige Weltlage und die delikate Rolle Österreichs – das Land ein Opfer des Nationalsozialismus, viele Menschen aber nicht nur Mitläufer, sondern Nazi-Verbrecher, darunter viele der schlimmsten – war das wahrscheinlich eine sehr gute und richtige Strategie. Es ging schlichtweg darum, Österreich und seinen Menschen eine solide Grundlage fürs Überleben, und zwar halbwegs friedlich miteinander, zu schaffen. Die Aufarbeitung musste, so bitter und ungerecht wir das heute auch empfinden mögen, warten. Der Rückzug aufs Kleine, Älplerisch-Biedere mit dem fast exotisch anmutenden Wasserkopf Wien und dessen gern behaupteter und in Manchem bewiesener Internationalität im Künstlerischen gelang prächtig. Die Provinz eroberte Wien und Österreich und verteidigte ihren Sieg bis The wind of change ab 1989 Stadt und Land nachhaltig durchlüftete.
Eine Beschäftigung mit den Ländern und Menschen der ehemaligen Monarchie, außer in einem sehr engen nostalgischen Kontext à la „Wie Böhmen noch bei Estreich war" (und bitte nicht „als") entsprach nicht dem historisch leider nicht gerade versierten Zeitgeist. Ausnahmen wie die Busekschen Initiativen bestätigten nur das Gesamtbild. Fiel auch nur in einem Halbsatz etwas Gutes über Altösterreich (oder verwendete man gar eine deutsche Ortsbezeichnung), musste es in mindestens drei Schachtelsätzen widerlegt oder zumindest so abgeschwächt werden, dass es nur mehr als Lächerlichkeit stehen blieb. Und schlussendlich wurde dieser Cocktail aus Ignoranz, Unwissenheit und Minderwertigkeitskomplex noch mit einer gehörigen Portion Arroganz gewürzt – wir sind doch weit besser als „wie die Ungarar, Tschechoslowaken, Jugos, Polaken oder gar Rumäna", oder?
Geschätzte Leserschaft, Sie haben es geschafft! Der (wieder einmal) lang geratene historische Ausflug hat sein Ende gefunden. Aber Sie sollten erfahren, wie der Mann tickt, mit wem Sie Ihre virtuelle Reise nach Siebenbürgen unternehmen. Kurz gefasst: Wir haben die meisten unserer Fäden zu den Ländern der Monarchie, und damit zu unseren Nachbarn, verloren, gleich ob sie deutsch- oder anderssprachig sind. Meine (textlichen) und Norbert Eisners (bildlichen) Impressionen von einer Reise nach Siebenbürgen versuchen, den einen oder anderen der gerissenen Fäden neu zu knüpfen.
Von Wien nach Szegedin
Siebenbürgen ist das Ziel und es braucht nur sieben, acht Stunden um von Wien dort hinzukommen – läge am Weg nicht so viel Verlockendes wie zum Beispiel Szegedin, ungarisch Szeged. Warum kommt Ihnen dieser Name nur so bekannt vor? „Komm mit nach Szegedin, solange noch die Rosen blühn…" Nein, das war`s nicht. Franz Antel und sein Szegediner Gulasch – das war`s! Und auch wieder nicht. Die kakanische Speise hat zwar mit Ungarn zu tun, aber nicht mit der Stadt Szegedin, sondern – ja, das ist die Frage, denn der Legenden sind viele. In Siebenbürgen glauben alle Volksgruppen, dass die Speise aus Schweinsfleisch und Kraut auf die Szekler zurückgeht. Deshalb heißt das Gericht dort Szekler Gulasch, Székelygulyás (ungarisch) oder Gulaş secuiesc (rumänisch). Viele Ungarn sind davon überzeugt, dass das Szegediner nach ihrem Dichter Jószef Székely benannt ist. Eine Legende, die auf einen anderen berühmten Ungarn zurückgeht, Károly Gundel (der mit den Palatschinken…).
Und wie kam Székely zu der Ehre, Namenspatron, wenn nicht gar Erfinder dieses schmackhaften Gerichts zu sein? Es war in Pest (Ofen, ungarisch Buda, und Pest waren damals noch zwei Städte), irgendwann in den 1840er Jahren, in irgendeinem Wirtshaus und es war schon spät, so spät, dass aus der Küche hieß, „nichts geht mehr". Jószef Székely hatte aber noch Appetit, nein richtigen Hunger, was bei Schriftstellern und Journalisten zu vorgerückter Stunde durchaus vorkommen soll. Mit bestimmter Stimme, die auf eine nicht unbeträchtliche Größe des Lochs im Dichtermagen schließen ließ, meinte er zum Kellner: Es müsse doch zumindest etwas Kraut da sein und Gulasch zum Aufwärmen. Dass der neuen Kreation noch ein Löffel Rahm beigegeben wurde, muss bei einem ungarischen Gericht wohl nicht besonders betont werden. Das Szegediner war geboren, bekanntgemacht vom angeblich anwesenden heiß verehrten Sándor Petöfi, Nationaldichter der Magyaren. Eine schöne Geschichte, stimmen dürfte sie wahrscheinlich nicht, aber wen störts?
Das erste, was wir auf unserer Reise lernten war somit: In Szegedin isst niemand Szegediner. Schon eher können Sie in der Stadt mit einer Lobeshymne auf die Pick-Salami punkten, denn die stammt sicher von hier. Aber was ist das alles im Vergleich mit dem Szegediner Paprika? Tauchen Sie ein in die Welt der roten Genüsse und probieren Sie statt dem Nicht-Szegediner Gulasch lieber die lokale Fischsuppe.
In Wien war es grau, ein wenig Grün nur in den Spitzln von Baum und Strauch, in Szegedin war Frühling. Was für ein Licht! Höchst subjektiv, mögen Sie meinen, so ein bissl Frühling kann einen schon täuschen. Mitnichten. Szegedin ist tatsächlich die sonnenreichste Stadt Ungarns. Eine herrliche k.u.k. Stadt mitten im Alföld, der Tiefebene, genauer gesagt der Großen Ungarischen Tiefebene. Puszta also? Na ja, nicht mehr ganz. Puszta heißt Ödnis, Nagy Alföld ist aber in vielen Teilen schon längst zu einem intensiv genutzten Ackerland geworden. (Keine Sorge, in den geschützten Gebieten lässt sich noch genügend Puszta erleben.) Donau und Theiß sind die Flüsse der großen Tiefebene. Szegedin liegt an der Theiß, dort, wo der siebenbürgische Mieresch in diesen mächtigen, träg sich gegen das Banat wälzenden Fluss mündet. Die Stadt und ihr Fluss: 1879 machte eines der gefürchteten Theiß-Hochwässer dem alten Szegedin ein Ende. Wahrscheinlich war das für die Menschen noch schlimmer als das Feuer der Türken ein paar hundert Jahre vorher.
Nicht ganz so lange zurück lag die versuchte ungarische Loslösung vom damals wieder einmal höchst unbeliebten österreichischen Schwager. Szegedin avancierte kurzzeitig gar zur magyarischen Hauptstadt. Wie in jeder ungarischen Stadt, die auf sich hält, gibt es in Szegedin an die Jahre 1848/49 viele Erinnerungen. Als das Wasser kam, war die Beziehung zu Österreich und vor allem zum gemeinsamen Herrscherhaus weit besser. Der ungarische König Ferencz Joszef, also „unser" Franz Josef, eilte nach Szegedin und da es um Ungarn ging, brach die „gute Vorsehung des Landes", die Königin, ihren Reiturlaub in Irland ab und kehrte nach Österreich-Ungarn zurück. Elisabeth, Erzsébet, hat heute noch ihr Denkmal in Szegedin – auch das teilt Szegedin mit jeder ungarischen Stadt, die – Achtung Wiederholung – auf sich hält.
Eine Wiederholung, zumindest für einen waschechten Kakanier, sind auch die Bezeichnungen für die Straßen. Ja, es gibt auch hier Ringstraßen, ungarisch körut. Viele Abschnitte der Szegediner Ringstraße sind nach Städten benannt, die der Stadt nach dem Hochwasser geholfen haben, von London über Paris bis nach Wien und Budapest.
Das erste Mal auf unserer Reise machten wir Bekanntschaft mit dem ungarischen Jugendstil und Eklektizismus. (Die Ödon Lechner-Kirche in Pressburg, das vor unserer Wiener Haustür liegt, lassen wir einmal außer Acht und Budapest ist eine andere Kategorie.) Was für eine Pracht, was für ein Selbstbewusstsein – und wie viel Chauvinismus! (Nicht von ungefähr waren Ödön Lechner und Otto Wagner nicht gerade die besten Freunde.) Vom Széchenyi-Platz mit dem Rathaus und den prächtigen Grünanlagen über die Kárász-Straße und den Klauzál-Platz mit dem berühmten Café Virág bis zum Domplatz mit der fast schon abnorme Maße annehmenden Votivkirche – Szegedin ist wahrhaftig ein Schaustück. Besser als all das gefällt mir aber die Stefaniegasse, die nach der Frau von Kronprinz Rudolf benannte Stefánia. In meinem Österreich-Ungarn-Baedeker wird sie als Flaniermeile der Stadt genannt, der Corso der feinen Welt am Theißufer. Das nach dem Schriftsteller Ferenc Móra benannte ethnografische Museum, der ehemalige Kulturpalast, erschlägt einen fast in seinem neoklassizistischen Prunk, weit vertrauter ist die Silhouette des Theaters, Fellner und Helmer in Hochform, noch dazu in Schönbrunnergelb. Nicht weit vom Theater, an einem Anger, steht ein Palais, das beinahe die Ausmaße eines Theaters hat. Einst war es ein Hotel für die feine Gesellschaft. Heute hat sich in den ehemaligen Nobelsälen eine recht lässige Brasserie namens „Hungi Vigadó és Sörkert" etabliert. Wir sollten auf unserer Reise noch in vielen solcher Prunkräume sitzen, manche erhalten, manche zu Tode renoviert, manche zur Unkenntlichkeit modernisiert, aber in keinem war die Atmosphäre des Fin de Siècle so selbstverständlich da wie hier, vielleicht weil so Vieles eben nur mehr in Bruchstücken vorhanden ist, der Stuck, die Spiegel, die Möblage. In eine andere Welt tauchen wir auch im Volksgarten ein, in Neu-Szegedin am anderen Theißufer gelegen. Vertrauen Sie mir: Er ist mit Sicherheit einer der schönsten Stadtparks auf dem Gebiet der ehemaligen Monarchie.
Im Banat
Der Abschied von Szegedin fällt schwer, aber Siebenbürgen ruft. Soll es nur, noch müssen wir durchs Banat und das lässt sich nicht nur so einfach durchqueren. Das Banat beginnt hinter Szegedin, mittlerweile eigentlich in Szegedin, denn die Stadt ist gewachsen. Es ist vom Mieresch (Marosch), der Theiß, der Donau und den Südkarpaten begrenzt. So unverrückbar wie die geografischen Grenzen sind die politischen, wie so oft in Mitteleuropa, nicht. Das nach dem Zurückdrängen der Türken von den Habsburgern geschaffene Temeschwarer Banat, ein Grenzland also und immerhin so groß wie Belgien, ist heute auf Ungarn, Serbien und Rumänien aufgeteilt.
Durchs flache Land, der Heide, geht es unserer ersten Station im Banat zu, Arad, das eigentlich nur halb zum Banat gehört, der andere Teil gehört zum Kreischgebiet, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, der auf Ungarisch Körös und auf Rumänisch Criș heißt. Irgendwo in diesem weiten Land verläuft die Grenze zwischen Ungarn und Rumänien. Nachdem letzteres noch nicht Schengen-Mitglied ist, dürfen wir hier noch das in Mitteleuropa sonst fast gänzlich verschwundene Ritual eines Grenzübertritts mit Stau und allem, was sonst dazu gehört, erleben. Nur die rumänischen Grenzbeamten waren ausgesprochen freundlich und verabschiedeten uns mit einem Tschüs.
Szegedin bleibt mir hell, gelb und blau in Erinnerung, Arad bestenfalls in Hellgrau, eher überwiegen noch die dunklen Grautöne. Wahrscheinlich ist das ungerecht und es lag am Wetter, das vom Frühling auf nasskalten Spätwinter umgestellt hatte. Vielleicht lag es aber doch auch ein wenig an der Stadt, nicht, weil viele Straßenzüge der Innenstadt noch ziemlich ramponiert sind, da sind wir von unseren Reisen weit Schlimmeres gewohnt, sondern weil Arad eher wenig an Geschichte aufzuweisen hat. (Ein Ungar würde das ganz anders sehen, aber dazu später.) Das älteste erhaltene und nicht veränderte Bauwerk stammt erst aus 1729 und ist nicht einmal ein Haus, sondern nur eine Johannes v. Nepomuk-Statue. Arad war zu dieser Zeit und noch lang nach der Vertreibung der Türken keine wichtige und daher auch keine große Stadt. (Das sollte sich erst im 19. Jahrhundert mit dem enormen Aufschwung, den Ungarn nahm, ändern.)
Wichtig war und ist Arad für das ungarische Nationalempfinden, was wiederum viel mit Österreich zu tun hat. Revolution! 1848 verabschiedete sich Mitteleuropa vom Feudalzeitalter und begann in die Moderne aufzubrechen. Bürgerliche Grundrechte und Freiheit für die Wirtschaft, auch wenn sie vorerst nicht dauerhaft erkämpft werden konnten, die Weichen dafür waren auch im österreichischen Kaiserstaat gestellt, allerdings würde der so bunte kakanische Zug kaum siebzig Jahre später entgleisen, auch wegen eines Gewächses, das ebenfalls ab 1848 rasch zu wachsen begann, dem Nationalismus. Die Forderung nach politischer Mitsprache und nationaler Emanzipation, der ungarische Adel sprach im frühen 19. Jahrhundert zu einem guten Teil nicht einmal ungarisch und auch in Budapest bediente man sich der deutschen Umgangssprache, waren auch die Ingredienzien für die ungarische Revolution, wobei die Fronten in diesem komplexen Mitteleuropa nicht so klar sein konnten. Es hieß nicht hier Ungarn, da deutsche Österreicher. So flammte im Oktober 1848 die Revolution in Wien nochmals auf, weil viele Wiener das Abgehen von Regimentern zum Kampf gegen Ungarn verhindern wollten, andererseits standen die der ungarischen Krone zugehörigen Slowaken, Serben und Rumänen mit dem kroatischen Ban (Stellvertreter des Monarchen in Kroatien) Josip Jelačić gegen die ungarische Führung und ihre Unabhängigkeitsbestrebungen von Österreich. Der ungarische Unabhängigkeitskrieg zog sich weit ins Jahr 1849. Franz Josef, der junge Kaiser, konnte ihn nur mit russischer Hilfe gewinnen. Eine besonders bittere Episode spielte sich in Arad ab. Im Herbst 1849 wurden hier 13 Anführer und Militärs der Ungarn hingerichtet. Diesen „Märtyrern von Arad" wurde zuvor noch freies Geleit zugesichert. In Ungarn ist der 6. Oktober bis heute nationaler Gedenktag. Es waren allerdings nicht nur Ungarn, die in Arad getötet wurden, fast die Hälfte war deutscher bzw. deutsch-österreichischer Herkunft. Die österreichischen Militärs stießen angeblich mit Bier auf die Hinrichtung an. Deshalb wurde in Ungarn ab diesem Tag 150 Jahre lang nicht mit Bier angestoßen. Alle mir bekannten Ungarn hielten sich daran. Am Hinrichtungsort erinnert ein Obelisk an die 13 Hingerichteten.
Wenige Jahrzehnte nach den Revolutionswirren ging es mit Arad steil aufwärts. Österreich und Ungarn vertrugen sich wieder besser und Arad wurde zu einer rasch wachsenden modernen ungarischen Stadt, deren Bewohner allerdings nicht einmal zur Hälfte ungarischer Nationalität waren. Ein Viertel war deutsch, ein Fünftel rumänisch, der Rest serbisch. (Heute sind 85 % der Arader Rumänen, zehn Prozent Ungarn.) Selbstverständlich erhielt die Stadt mit ihren neuen Gebäuden ein vollkommen ungarisches Gepräge. Das Rathaus mit seinem Turm, ähnlich dem so vieler anderer ungarischer Städte, das Komitatshaus, das Theater, das Haus zum goldenen ABC, die Trajan-Brücke, eine herrliche Jugendstil-Brücke im Stil der Budapester Franz Josefs-Brücke (heute Freiheitsbrücke), gefertigt in der berühmten Banater Eisenwerk von Reschitz(a), und der Kulturpalast als Teil des großen Arader Museumskomplexes – all das ist durchaus beeindruckend, aber der Funke springt nicht über, zu pompös, zu kalt sind die Boulevards. Netter sind die kleinen Straßen der Altstadt, zum Teil sind sie Fußgängerzone. Und auch in Arad gilt: Die Anzahl an sezessionistischen Gebäuden lässt staunen. Kulinarisch bleibt mir aus Arad nicht viel zu berichten, zu kurz war der Aufenthalt, aber ich machte hier Bekanntschaft mit einer Leibspeis der Rumänen, eine Art Brezel, die bei jedem Bäcker in großen Mengen über die Gasse verkauft wird. Nach diesem Gebäck bin ich den nächsten Tagen süchtig geworden.
Süchtig könnte man auch auf die nächste Stadt werden, Temeswar. Freundlich und bunt ist sie, die Hauptstadt des Banats. Allein auf Deutsch hat sie drei Namen: Temeswar, Temeschwar oder Temeschburg. Auf Ungarisch heißt sie Temesvár, auf Serbisch Temišvar und auf Rumänisch Timișoara. Sie liegt inmitten eines fruchtbaren Landes voll fetter, schwarzer Erde. Die Stadt hat über 300.000 Einwohner, die überwältigende Mehrheit sind Rumänen, nur mehr wenige Deutschsprachige, Ungarn und Serben leben in ihr. (Noch um 1930 waren die Deutschsprachigen die größte Bevölkerungsgruppe, Temeschwar hatte damals aber nur 100.000 Einwohner.) Die Stadt ist mir seit meiner Kindheit ein Begriff, wenn auch lange Zeit ein sehr abstrakter. Im Gymnasium durfte ich in Raimunds Bauer als Millionär den Magier Ajaxerle spielen. Wenn auch aus einer Schauspielkarriere nichts geworden ist, so kann ich mich noch erinnern, dass dem guten Ajaxerle aus Schwaben bei einem Geisterdiner in Temeswar von seinem Kollegen Bustorius aus Warasdin eine Flasche Wein an den Kopf geworfen worden war. Und so blieb mir der Name Temeswar aus meiner Auftrittsszene im Gedächtnis. Ich bin sicher, weder meine Schulkollegen noch ich wussten damals, wo Temeswar liegt. Der Eiserne Vorhang war Anfang der Achtzigerjahre noch dicht. 1989 hob er sich und Temeswar kam in der Dramaturgie der rumänischen Revolution große Bedeutung zu, ja die Revolution nahm im Dezember 89 in der Stadt am Begakanal sogar ihren Ausgang. Ein paar Monate später wurde mit der „Proklamation von Timișoara" die Grundlage für ein demokratisches rumänisches Staatswesen gelegt.
Die Entwicklung Temeswars war wie die der anderen Städte im Südosten Europas für lange Zeit von den Auseinandersetzungen Europas mit den Osmanen geprägt. Anfang des 18. Jahrhunderts war die Türkenzeit in Temeswar endgültig zu Ende, die Stadt wurde zu einer österreichischen Festung gemacht und blieb bis zum Ende der Monarchie der lebendige Mittelpunkt des Banats, der in den Jahren Österreich-Ungarns rasanten Aufschwung nahm. So war Temeswar eine der ersten europäischen Städte mit elektrischem Licht. Nach dem Ersten Weltkrieg stritten Rumänien und der südslawische Staat, das spätere Jugoslawien, um die Stadt, bekannterweise hat sich Rumänien durchgesetzt.
Lebendig und bunt ist Temeswar auch heute noch, wenn aus dem Nationalitätengemisch auch ein ziemlicher Einheitsbrei geworden ist. Die Vielfalt von einst zeigt sich noch in den vielen Kirchen unterschiedlicher Konfessionen. Die schönste ist die römisch-katholische Kathedrale am Domplatz, der heutigen Piața Unirii. Der Platz, er wird derzeit restauriert, ist für mich einer der stimmigsten in Mitteleuropas. Er ist das Zentrum der ehemaligen Festung und in seiner gesamten Komposition ein Kleinod, vor allem am Abend, wenn die Sonne die Kathedrale in jene kräftigen Farben taucht, die es nur östlich der Leitha gibt. Wunderschön ist das Palais des serbisch-orthodoxen Bischofs am Platz, auf dem auch die deutschsprachige Buchhandlung der Stadt zu finden ist.
Die Temeswarer hören es gerne, wenn ihre Stadt Klein-Wien genannt wird (und der rumänische Tourismus wirbt mit diesem Slogan). Tatsächlich, man fühlt sich wohl und zuhause hier. Anscheinend bot die Atmosphäre Temeswars reichlich Anregung, um Menschen zu inspirieren. Ioan Holender, Robert Dornhelm und Francesco Illy sind hier geboren und Nikolaus Lenau, der bekannteste altösterreichische Dichter aus dem Banat stammt nicht weit von hier. Sein Geburtsort wurde 1926 in Lenauheim umbenannt und diesen Namen trägt das Dorf auch auf Rumänisch bis heute. Auch Erwin Ringel kam in Temeswar zu Welt, seine Mutter zog ihre Heimatstadt dem niederösterreichischen Hollabrunn als Geburtsort vor. Ein anderer gebürtiger Temeswarer Donauschwabe ist Tarzandarsteller Johnny Weissmuller.
An die jüdische Tradition der Stadt erinnert die große Synagoge, sie dient heute als Konzertsaal. Erhalten hat sich das deutschsprachige Theater. Es ist wie das ungarische sogar Staatstheater. Die deutschsprachige Tradition der Stadt wird auch am Nikolaus-Lenau-Lyzeum, dem deutschsprachigen Gymnasium, gepflegt. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind rumänischer Muttersprache, die Unterrichtssprache ist Deutsch. Aus diesem Umstand hat sich am Temeswarer Gymnasium etwas ganz Besonderes entwickelt, das Lenau-Deutsch, mittlerweile Gegenstand diverser Forschungen. Die Schule zählt zwei Nobelpreisträger zu ihren Absolventen. Herta Müller, sie stammt auch einem Banater Dorf, erhielt 2009 den Literaturnobelpreis und Stefan Hell 2014 den für Chemie.
Das Kontrastprogramm zum stimmungsvollen Domplatz bietet die Piața Victoriei (Siegesplatz). Geschäftig, lauter – hier, zwischen der riesigen rumänisch-orthodoxen Kathedrale aus der Zwischenkriegszeit und dem Nationaltheater – schlägt der Puls der Stadt. (Der Fellner und Helmer-Bau des Franz Josef-Stadttheaters erhielt nach einem Brand in den Zwanzigerjahren eine ungewöhnliche Fassade – neobyzantinisch.) Wie in so vielen ehemals österreichisch-ungarischen Städten Rumäniens darf auch am zentralen Platz Temeswars ein Standbild der kapitolinischen Wölfin als Symbol für ein romanisches Land, nicht fehlen, ein Geschenk der Stadt Rom übrigens. Eingerahmt ist der Platz von vielen Palais. Sie tragen die Namen Dauerbach, Löffler, Merbl, Neuhaus, Weiss und Széchényi. Nicht zu übersehen ist der Lloyd-Palast, was für eine eklektizistische Pracht aus Barock und Jugendstil! Im Erdgeschoß gab es einst das Café Wien (natürlich, ist man versucht zu sagen). Hier beliebte Egon Erwin Kisch zu sitzen. Heute trifft sich in den stylischen Cafés am Platz die Temeswarer Jugend, modebewusst, kommunikativ, selbstsicher – das romanische Element hebt die trübe Stimmung an diesem saukalten Aprilabend und die Jungen strafen (zumindest auf den ersten Blick) die negativen Nachrichten über Temeswar, über Abwanderung und Verfall, Lügen.
Die Innere Stadt (Cetate auf Rumänisch und Belváros auf Ungarisch) ist von einem Gürtel an Grünanlagen umgeben. Die anschließenden Bezirke tragen bis heute Österreichern vertraute Namen wie Josefstadt (Iosefin, Józsefváros) und Elisabethstadt (Elisabetin, Erzsébetváros). Das nächste Mal – und es wird ein nächstes Mal geben, denn mit Temeswar bin ich noch lang nicht fertig – werden diese Bezirke erforscht. Jetzt lockt aber die letzte Station im Banat, Lugosch. Ein letzter Blick in Temeswar wird dem Gebäude der rumänischen Nationalbank geschenkt, einst Zweigstelle der Österreichisch-Ungarischen Bank – und wieder haben wir ein Stück kakanischer Globalisierung entdeckt. Das Gebäude hat frappante Ähnlichkeit mit der Banca d'Italia di Gorizia (Görz), ehemals Zweigstelle der Österreichisch-Ungarischen Bank im Kronland Görz-Gradisca.
Lugosch, rumänisch Lugoj, ungarisch Lugos, kroatisch Lugoš, serbisch-kyrillisch Лугош ist eine typische Stadt des Banats, schon allein deswegen, weil sie ursprünglich aus zwei Städten bestand, dem deutschsprachigen und dem rumänischen Lugosch, beide getrennt durch den Fluss Temesch und verbunden durch eine schöne Eisenbrücke aus 1902, die wie jene in Arad aus Reschitz stammt. Auch Lugosch ist heute zum überwiegenden Teil rumänisch, Deutschsprachige und Ungarn machen gemeinsam noch rund zehn Prozent der Bevölkerung aus. Die Jugendstil-Bauten sind nicht so prächtig wie in Temeswar oder Arad, auch gibt es hier noch viel mehr zu renovieren. Trotzdem oder gerade deshalb ist Lugosch anheimelnd, hat Ecken und Nischen, in die man sich mit einem kleinen Schwarzen zurückziehen und vielleicht ein bisschen sinnieren kann, über einen großen Sohn der Stadt und seine Pläne: Aurel Popovici. Der Politiker und Publizist gehörte zum Kreis Franz Ferdinands legte mit seinen „Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich" ein Werk vor, das vielleicht eine in Manchem brauchbare Grundlage zur Neuordnung der Monarchie gewesen wäre. Diese kleine, seit jeher sehr kunstbeflissene Stadt mit ihren Kirchen, der Synagoge und dem schlanken Turm, dem einzigen Rest der Nikolauskirche, macht mir den Abschied aus dem Banat schwer. Wie wenig ist dieses weite, ein wenig melancholische Land bei uns bekannt und wie viel gäbe es an dieser altösterreichischen Grenze zu entdecken. Eine Reise ins Banat wird jedenfalls fix in den Kalender eingetragen.
Endlich Siebenbürgen
Am Horizont tauchen die Karpaten auf und die Neugier wächst, Siebenbürgen rückt immer näher, aber es braucht Geduld. Stückerlweise gibt es eine Autobahn, die dann wieder abrupt in Nichts endet. Die Straße schlängelt sich den Berg entlang, die Wälder werden dichter, die Vegetation, es ist Anfang April, spärlicher, wir überqueren die Grenze zwischen Temeschwarer und Eisenmarkter Kreis und sind in Siebenbürgen. Und tatsächlich, hier sind sie, die dunklen Wäldern, die sanften Hügel und die schiefen Häuser, aus deren mächtigen Kaminen der Rauch lustig gegen Himmel steigt. Und die ersten Schafherden! Dieses Bild ist nun tatsächlich aus der Zeit gefallen, wie eine plastisch gewordene Illustration aus dem berühmten Kronprinzenwerk sieht es aus, hunderte Schafe mit ihrem Hirten, mit Stab und in Pelz gekleidet und ein Hund, der seine Herde aufgeregt in Zaum hält. Das ist Siebenbürgen, ebenso wie die vielen Ruinen irgendwelcher Fabriken, die armseligen Häuser, die in Keuschen hausenden Roma am Rand verlassener Dörfer; und wie der Bauer, der sein Feld mit einem alter Klepper mühsam pflügt.
Schäfer in Pelz, Pferdefuhrwerke, mit Ochs oder Pferd pflügende Bauern – was für romantische Impressionen! Sind sie es tatsächlich? Ein Dilemma tut sich auf. Ich bin angetan, begeistert, berührt von diesen Bildern. Dass ich das noch sehen kann, mitten in Europa. Wenige Sekunden später tauchen andere Gedanken auf. Ist es nicht fast ein wenig obszön, das romantisch zu nennen, voyeuristisch gar, diese Szenen zu beobachten, zu fotografieren. Wollte ich auch nur eine Stunde so leben? Andererseits: Wieviel Luxus braucht Zufriedenheit? Ich brauche jedenfalls mehr, als viele in Siebenbürgen haben. Faszinierend ist sie aber, diese Zeitreise. Als Mensch möchte ich in Siebenbürgen nicht leben, wär ich ein Schaf oder ein Hendl, könnt ich mir nichts Besseres wünschen, als in diesem weiten Land zu grasen oder rund um eines der schönen Bauernhäuser meine Körndl zu pecken. Diemrich, rumänisch Deva. Die Stadt am Mieresch (Marosch), rumänisch Mureș, ungarisch Maros lassen wir links liegen. Wir vermuten, es warten noch lohnendere Ziele. Vielleicht ist das ungerecht, aber Siebenbürgen ist so groß! Städte und Gegenden auszuwählen, fällt nicht leicht. Von Diemrich wäre ein Abstecher zur Hunyadiburg in Eisenmarkt, Hunedoara, sicher lohnenswert. Schon von Weitem macht sie einen majestätischen Eindruck, dem Geschlecht der Hunyadi uns seinem wichtigsten Vertreter, Matthias Corvinus, sehr angemessen.
In einem Reiseblog las ich, dass die Landschaft Westsiebenbürgens bis hinein nach Hermannstadt sehr österreichisch anmutet, ein Eindruck, der auch uns beschleicht. Irgendwie kennt man das. Frappierend wird's in Mühlbach, rumänisch Sebeș. Etlichen Freunde zeigte ich Bilder von der kleinen Stadt und jeder kommentierte es gleich: „Da schaut´s aus wie im Burgenland." Nur, dass nicht alles so geschniegelt ist. Dafür ist nicht alles zugepflastert, die Häuser haben Vorgärten voll blühender Blumen, ein Graben trennt die Straße vom Trottoir, Obstbäume statt fader Thujen ersetzen die Zäune.
Mühlbach! Vor hundert Jahren hätte sich keiner der hier wohnenden Siebenbürger Sachsen wahrscheinlich vorstellen können, dass in dieser so traditionsreichen Stadt des Königsbodens einmal kaum mehr Deutschsprachige leben würden. Ihre lange Präsenz kann und will die Stadt bis heute nicht verleugnen. Am deutschen evangelischen Gymnasium, recht frisch getüncht, steht in großen Lettern geschrieben „Bildung ist Freiheit". Die Schule ist ein beliebtes Fotomotiv bei den deutschsprachigen Touristen, weit mehr Besucher zieht aber die evangelische Kirche an. Das erste Mal umfängt mich hier eine Stimmung, wie ich sie in Siebenbürger Kirchen noch oft erleben durfte. Die Reduktion auf das Wesentliche, keine katholische barocke Pracht, die wir Österreicher fast unweigerlich erwarten, sondern protestantische Schlichtheit, die aber im Unterschied zu vielen evangelischen Kirchen in Österreich nicht karg oder tot wirkt. Wahrscheinlich liegt es an den alten, kunsthistorisch so reichen Bauten. Protestantische Kirchen gibt es in Siebenbürgen eben doch schon etwas länger als hierzulande, die Gemeinden sind aber in den letzten Jahrzehnten sehr klein geworden, der Mühlbacher Pfarrer betreut noch rund 180 Gläubige.
Die Beschreibung der Highlights der Mühlbacher Kirche finden Sie in jedem Siebenbürger Reiseführer, an dieser Stelle kann daher darauf verzichtet werden. Nehmen Sie sich Zeit für das Gotteshaus und genießen sie die Stille im alten Kirchhof mit seinen knorrigen Bäumen. Mehr als ein karges Pilgermahl bietet der „Gasthof zum goldenen Löwen", eines der berühmtesten Gasthäuser Siebenbürgens. Gäste werden hier seit weit mehr als drei Jahrhunderten bewirtet. Wir haben ein typisches Hirtengericht gegessen, typisch deshalb, weil die Zutaten billig sind und der Magen trotzdem angefüllt wird. Es bestand aus Käse und Polenta und schmeckte köstlich. Unser nächstes Reiseziel hätten wir beinahe nicht gefunden. Den Ort Alba Iulia schon, aber nicht seine Attraktion, die ehemalige Festung Karlsburg. An der rumänischen Bezeichnung ist noch der ursprüngliche deutsche Name der Siedlung – Weißenburg (vom ungarischen Fehérvár) – erkennbar. Die Stadt erinnert mich ein wenig ein süditalienische Orte, nicht deren schöne Stadtzentren, sondern die Vororte. Drei Mal umkreisten wir die Innenstadt ohne die Festung zu finden.
Das im Kreis fahren hat sich ausgezahlt, war der erste Gedanke, nachdem wir die Festung gefunden hatten. Was für Dimensionen! 1714 wurde unter der Regierungszeit von Karl VI., daher der Name Karlsburg, mit dem Bau der siebeneckigen Festung, der letzten großen des alten Österreichs, begonnen. Die reiche Geschichte von Weißenburg-Karlsburg erschöpft sich nicht in der Festung, Daker und Römer hinterließen in der Gegend ihre Spuren und später wurde Weißenburg Sitz eines Erzbischofs. Während der Türkenherrschaft entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Zentrum des siebenbürgischen Fürstentums. Weit mehr als für Österreicher und Ungarn hat diese Stadt für Rumänien Bedeutung. Rumänische Volksvertreter sprachen sie hier am 1. Dezember 1918 für die Vereinigung von Siebenbürgen und anderer Gebiete Altungarns mit dem rumänischen Staat aus. Das war die Grundlage für die Schaffung des heutigen Rumäniens, das doppelt so groß ist als der bis zum Ersten Weltkrieg bestehende rumänische Staat. Das rumänische Königspaar wurde 1922 in Karlsburg gekrönt. Heute erinnert daran die riesige orthodoxe Kathedrale am Festungsgelände, die das elegante Schiff des römisch-katholischen Doms, Grabstätte siebenbürgischer und ungarischer Herrscher und architektonisches Kleinod, ein wenig an den Rand drängt. Diese Kirche sollten Sie besuchen und rund um die Festung spazieren. Die Anlage wurde vorbildhaft restauriert, ihr Besuch zählt zu den Höhepunkten unserer Siebenbürgen Reise, allein schon wegen der wunderschönen Blicke in das weite siebenbürgische Land.
Bekannter und populärer als Karlsburg ist das nächste Ziel, Hermannstadt, rumänisch Sibiu, ungarisch Nagyszeben. Die bunten Häuser, die gebogenen Gasse mit ihren alten Bäumen, die schönen Tore – nach Hermannstadt zu fahren ist eine Zeitreise, aber erfreulicherweise nicht pure Nostalgie. 2007 war Hermannstadt europäische Kulturhauptstadt. Die siebenbürgische Metropole hat die sich damit bietenden Chancen in Stadterneuerung, kulturellem und touristischem Angebot augenscheinlich weit mehr genützt als das untersteirische Marburg, an dem das Kulturhauptstadtjahr 2012 fast spurlos vorübergegangen ist.
War Marburg einst die Metropole der Deutschsprachigen der slowenischen Steiermark, so kam in Siebenbürgen dieser Rang Hermannstadt zu. Im Gegensatz zur Untersteiermark ist das in Hermannstadt auch noch sichtbar, es leben hier allerdings auch noch immer ein paar autochthone Deutschsprachige mehr als in Marburg. Das (touristische) Hermannstädter Leben spielt sich auf den beiden Ringplätzen, dem großen und dem kleinen, und in den paar Gassen der Oberstadt ab. Das alte gotische Rathaus, das Filekhaus, das Hallerhaus, das herrliche barocke Brukenthalpalais, die fünf Stadttürme, die Lügenbrücke, die Arkaden der alten Zunfthäuser, die romantischen Gasserl hinunter in die Unterstadt, man kommt aus dem Staunen und Schwärmen nicht heraus.
Die evangelische Kathedrale … man wird fast ein wenig ehrfürchtig. Liegt es an diesem gotischen Raum oder am Karfreitag? Draußen blies uns ein eiskalter Sturm die Hauben vom Kopf und drinnen, vollkommene Stille, hoffentlich kann ich die Erinnerung an diese Stimmung lange bewahren. Von allen Reichtümern dieser Kirche haben mich die in den Wänden eingelassenen Grabmäler des siebenbürgischen Adels am meisten beeindruckt. Sehenswert ist auch die Kathedrale der Orthodoxen. Im Unterschied zu vielen anderen orthodoxen Kirchen des Landes wurde sie schon während der österreichisch-ungarischen Zeit erbaut. Die Kuppel und die reichen Fresken erinnern manche gar in die Hagia Sofia.
Liebhaber der Malerei kommen an einem anderen Gebäude der Stadt nicht vorbei, es ist das schon erwähnte Brukenthal-Palais. Sein Erbauer und Namensgeber war Samuel von Brukenthal, Maria Theresias Siebenbürgischer Gouverneur, ein (weiterer) wahrer Glücksgriff der Monarchin. Die Brukenthalsche Kunstsammlung umfasst über tausend Gemälde verschiedener Epochen und eine Bibliothek mit 280.000 Bänden. Zwischen Hermannstadt und Kronstadt liegt in Freck, rumänisch Avrig) das Brukenthal'sche Sommerschloss mit einem schönen Barockkarten, dem einzigen auf dem Gebiet Rumäniens.
In Hermannstadt hätte ich es noch länger aushalten, vor allem nachdem ich die Unterstadt entdeckt hatte. Dort ist nicht alles so herausgeputzt wie oben, dafür gibt's ein paar nette Cafés und witzige Geschäfte mit allerhand Kramuri. In der Oberstadt sei ein Besuch der Schiller-Buchhandlung empfohlen. Was es über Siebenbürgen (auf Deutsch) zu erlesen gibt, findet sich hier.
Weiter geht's nach Salzburg. Nein, unsere Siebenbürgen-Reise ist noch nicht zu Ende. Es gibt auch im Land jenseits des Waldes einen Ort dieses Namens. Was er mit dem Kleinod der Alpen gemeinsam hat, liegt auf der Hand – das Salz. Im siebenbürgischen Salzburg, rumänisch Ocna, badet man sogar darin und das seit über 150 Jahren. Die letzte Salzmine wurde hingegen schon vor langer Zeit geschlossen. Leider kann der Kurort mit einem Wellnessort, wie wir ihn kennen, bei Weitem nicht mithalten, das beeindruckende Jugendstilbad lohnen den Abstecher nach Salzburg aber in jedem Fall, neben einem Salzbad, versteht sich.
Über eine neue Autobahn und eine gar nicht so schlechte Staatsstraße erreichen wir Kronstadt. Beim Surften im Internet bin ich über die Bezeichnung „rumänisches Kitzbühel" für diese größte siebenbürgische Stadt gestoßen. Was die Temperaturen angeht, trägt Braşov diesen Titel zu Recht. Als wir Anfang April in der Stadt ankamen, lag diese unter einer gar nicht so dünnen Schneedecke, die Karpaten in dichte Wolken gehüllt. Die letzten Schifahrer des Tages fixierten ihre Bretter gerade auf den Dächern ihrer Autos. Und das soll ein Frühlingsurlaub sein? Der kam noch, schon ab dem nächsten Morgen. Der Schnee war weg und die Sonne tauchte den halbrunden Marktplatz Kronstadts in ein freundliches Licht.
Hermannstadt und Kronstadt, nur wenige Fahrstunden voneinander entfernt, sind doch sehr verschieden. Hermannstadt ist beschaulich, an böhmische Städte erinnernd, Kronstadt ist, auch wenn die Altstadt klein ist, lebendiger, bei aller historischer Substanz moderner und vertrauter in dem Sinn, dass wie in unseren Städten sehr gerne „geshoppt" wird. Die Lokalszene ist durchaus abwechslungsreich, vom witzigen Kaffee in einer ehemaligen Apotheke, ausgestattet mit vielen kakanischen Reminiszenzen, bis zum ungarischen Restaurant „Pilvax". Hier haben wir während unserer gesamten Siebenbürgen-Reise am besten gegessen und die berühmte ungarische Gastfreundschaft genossen. Lässige Baratmosphäre bietet die Brasserie „Festival 39" des Hotels „Coroana", einem Haus mit langer Tradition. Beide, Brasserie und Hotel, hätten sich als Drehort für das „Budapest Grand Hotel" bestens geeignet. Nur, dass im Kronstädter Hotel nach wie vor Gäste absteigen. Mit seinen zwei Sternen bietet es ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis und ist die optimale Unterkunft für Reisende mit Vorliebe für etwas schräge Unterkünfte.
Am schönsten ist Kronstadt von oben. Dazu braucht man nicht einmal auf den Hausberg, die Hohe Zinne, hinaufwandern (und dabei einem Wolf, Bär, Luchs oder ähnlichem Getier begegnen) oder mit der Seilbahn hinauffahren. Es reicht schon entlang der alten Stadtbefestigung zu spazieren. Es bietet sich ein sehr harmonisches Bild an roten Schindeldächern mit der Schwarzen Kirche, der Kronstädter Hauptattraktion, im Mittelpunkt. Die Kirche ist der größte gotische Bau Rumäniens. Sie ist selbstverständlich nicht schwarz, trägt den Namen aber zur Erinnerung daran, dass sie bei einem Brand Kronstadts, das Feuer wurde von den habsburgischen Truppen gelegt, ganz schwarz gerußt wurde. Das ist allerdings schon mehrere Jahrhunderte her. Die herrlichen Gebetsteppiche, die Orgel mit viertausend Pfeifen und das mächtige gotische Schiff lassen wohl wenige Besucher davon unbeeindruckt die Kirche verlassen. Ein lohnendes Fotomotiv sind die Figuren der Apostel am Kirchenchor. Wie in Hermannstadt befindet sich gegenüber der Kirche das deutsche Gymnasium. In Hermannstadt trägt es den Namen Brukenthals, in Kronstadt den des Reformators Johannes Honterus. Seine Statue steht am Kirchenplatz, der erfreulicherweise nicht gepflastert und so dem ganzen Ensemble einen fast mittelalterlichen Touch gibt.
Fast genauso beeindruckend wie die Schwarze Kirche sind die erhalten gebliebenen Befestigungsanlagen, die nach einzelnen Gewerben benannt wurden. Sie waren für die Sicherung des jeweiligen Abschnitts des Befestigungssystems verantwortlich, gescheite siebenbürgisch-sächsische Selbstverwaltung also. Nicht versäumen sollte man die Weberbastei. Verblüfft hat uns, dass alle jüngeren Einheimischen uns nicht zu einem Punkt in der Altstadt, sondern in das neue Einkaufszentrum schicken wollten. Es dürfte derzeit der Hot spot Kronstadts sein. Ein kleines Déjà-vu bereitete uns die griechisch-katholische Kirche am Hauptplatz. Sie kann ihr Wiener Vorbild vom Fleischmarkt nicht verleugnen. Als Zugabe durften wir am Karsamstag eine griechisch-katholische und eine römisch-katholische Auferstehungsprozession betrachten, auch das bleibt mir hoffentlich lange in Erinnerung.
Von Kronstadt, dem ungarischen Brassó, ist es nur ein Hüpfer zur Törzburg. Sie ist heute unter ihrem rumänischen Namen Bran als Dracula-Schloss weltberühmt. Ich erspare Ihnen und mir die hinlänglich bekannte Dracula-Story. Sie finden diese in jedem Reiseführer hinlänglich ausgebreitet. Die Törzburg steht an einer strategisch wichtigen Karpatenstraße, fünf Karpatenpässe führen von Kronstadt hinüber nach Altrumänien, und sie war deshalb jahrhundertelang im Besitz des Kronstädter Magistrats. Als es mit ihrer strategischen Bedeutung vorbei war, wollte die Stadt die Burg loswerden. Wie macht man das am elegantesten? Man verschenkt sie. Am besten an den Herrscher und seine Familie. Zuerst, mitten im Ersten Weltkrieg, war ein Habsburger der Glückliche. Der junge Kaiser Karl, als ungarischer König Karol genannt, durfte sich über das pittoreske Gemäuer freuen. Allerdings wurde verabsäumt, den Eigentümerwechsel ins Grundbuch, jene altösterreichische Errungenschaft, die in Nachfolgestaaten der Monarchie bis heute eine ausgesprochen gute Nachred' hat, einzutragen. Nach 1918 war es dann besser, die Schenkung zu vergessen, denn Kronstadt war nun Rumänien und die Habsburger Geschichte. (Die Törzburg betreffend allerdings nicht: Heute ist die Burg tatsächlich in habsburgischem Besitz.)
Was für ein Glück für die Stadtverwaltung, dass Rumänien eine Monarchie war und so schenkte man die Burg der sehr tatkräftigen rumänischen Königin Maria, einer Enkelin der englischen Königin Viktoria. (Diese Königin war eine wahre Romanfigur – und sie hat es ihrer schrecklich netten Schwiegerfamilie und ihrem schwächelnden Gatten so richtig gezeigt – mit unehelichen Kindern und einem fabelhaften politischen Instinkt.) Nach rumänischem Recht hätte Marias Mann, König Ferdinand, der Schenkung zustimmen müssen, denn in Altrumänien konnten Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes keinen Grundbesitz erwerben. Im als ach so rückständig verfemten Österreich-Ungarn war das nicht so und Königin Maria meinte scherzhaft, sie brauche die Zustimmung ihres Gatten nicht, denn die Törzburg liege in Siebenbürgen und damit auf altungarischem Gebiet, wo eine andere Rechtsprechung gelte. Die Königin liebte ihr Schloss und ließ ihr Herz dort bestatten.
Die Liebe der Königin kann ich nicht ganz teilen. Aus der Ferne gesehen ist die Törzburg tatsächlich die ideale Kulisse für Gruselfilme oder historische Schinken, sie schaut einfach fantastisch aus. Beim Durchschreiten der Gemächer wurde mir auch gruselig zumute, allerdings aus einem anderen Grund. Was für eine grässliche Einrichtung! In die finsteren Kammerln hat das rumänische Königshaus schwere, dunkle Möbel gestellt. Man will nur raus, kann aber nicht, denn in der Masse an japanischen, amerikanischen und englischen Touristen ist kein Weiterkommen. Eine absolute Nicht-Sehenswürdigkeit, allein die Standln mit Dracula-Devotionalien rund um die Törzburg lehren einen das Fürchten. Fahren Sie vorbei, machen Sie ein paar Bilder, sie werden dafür viele Likes bekommen, und besuchen Sie dann ein paar Dörfer des wunderschönen Burzenlandes, einem der schönsten Teile Siebenbürgens. Ein eindrucksvoller Blick ins Burzenland bietet sich von der Burg Rosenau. Auch diese Anlage sieht von weitem am besten aus. Rosenau, rumänisch Râșnov, war kein feudaler Adelssitz, sondern eine Bauernburg. Hier suchte die Bevölkerung Schutz vor den diversen Angreifern. Der Rundgang durch das Burgareal mit seinen Häuschen, in denen diverse Souvenirs feilgeboten werden und man seine Künste im Bogenschießen erproben kann, ist nett, aber mehr Kür denn Teil des siebenbürgischen Pflichtprogramms. Einen kurzen Spaziergang lohnt der Ort Rosenau. Sie werden schöne Bauernhäuser der Siebenbürger Sachsen und Rumänen entdecken.
Zum Pflichtprogramm zählt in jedem Fall unser nächstes Ziel, Schässburg, rumänisch Sighișoara, ungarisch Segesvár. Die Fahrt von Kronstadt nach Schässburg zählt zu meinen schönsten Erinnerungen an die Siebenbürgen-Reise. Was für ein Land! Diese buckelige Landschaft mit den in den Mulden gelegenen Dörfern, von denen oft nur das Kirchturmspitzl zu erheischen ist, die Kirchenburgen, sie wären eine eigene Siebenbürgen-Reise wert, und die Dörfer, oft zu einem großen Teil verlassen, aber noch lässt ihre Atmosphäre etwas vom jahrhundertelangen Mit- oder Nebeneinanderleben von Deutschsprachigen, Rumänen, Ungarn und Szeklern erahnen. All diese Eindrücke, gleichsam ein komprimiertes Bild Siebenbürgens, hinterließ der Ort Keisd, rumänisch Saschiz, ungarisch Szászkézd, auf mich.
Schässburg (Sighișoara, Segesvár). Möchten Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin einen Heiratsantrag machen, tun Sie das in Schässburg. Dort erhalten Sie bestimmt keinen Korb, zu schön ist diese Stadt, dass sich irgendjemand ihrer romantischen Stimmung entziehen könnte. Der Stundenturm, das Hirschenhaus, die Schülertreppe hinauf zur deutschen Schule, die Bergkirche und der daneben liegende Friedhof mit wunderschönen Grabmälern aus längst vergangenen Zeiten, Schässburg ist eine Märchenstadt. Wem das ganze Ensemble nach ein paar Spaziergängen zu pittoresk, zu eng wird, sollte in die Unterstadt absteigen, die ist mit ihren Gründerzeithäusern auch sehr schön ist, aber ein wenig mehr vom wahren Schässburger Leben erahnen lässt. Gut gegessen haben wir dort im gemütlichen „Gasthof zur alten Post". Von Schässburg lohnt sich in jedem Fall ein Abstecher nach Birthälm (Biertan), rund 25 Kilometer von der Stadt entfernt. Die Kirchenburg des Ortes ist UNESCO-Weltkulturerbe.
Nach dem idyllischen Schässburg und vielen Kirchenburgen brauchen wir etwas Durchlüftung, Lärm und Leben. In Klausenburg, rumänisch , Cluj-Napoca, ungarisch Kolozsvár, sind wir jetzt genau richtig. Eine gute Einstimmung auf die lebhafte Studentenstadt war schon Neumarkt, rumänisch Târgu Mureș, ungarisch Marosvásárhely, die Hauptstadt der Szekler. (Mittlerweile sind auch hier, wenn auch knapp, die Rumänen größte Bevölkerungsgruppe.) Sie bietet nicht viele Highlights, diese sind dafür aber pompös, allen voran der Kulturpalast im ungarischen Sezessionsstil und die Synagoge.
Es gibt Orte, da steigt man aus dem Auto oder vom Zug auf den Perron und weiß, hier fühlt man sich wohl. Mir ging es so in Klausenburg, im Stadtpark. Schon die Allee durch den Park, der Teich und das sanierte ehemalige Casino, jetzt Teil der technischen Uni, einfach nett. Je näher wir dem Zentrum kommen, umso lauter wird's. Aber der Lärm tut hier nicht weh, es ist geschäftig aber nicht hektisch. Viele Junge sind unterwegs, sie kommen aus den Hörsälen der ehemaligen Franz-Josefs-Universität, der heutigen technischen Universität, und streben wie wir dem Hauptplatz zu. Die Klausenburger Universitäten haben einen guten Ruf und locken Studenten aus vielen Ländern der Erde in das Land, was bei uns nicht sehr bekannt ist. Die Mauer zum ehemaligen Ostblock gibt es selbst in den Köpfen derjenigen noch, die in den Zeiten des Kalten Krieges noch nicht einmal auf der Welt waren.
Temeswar nennt man Klein-Wien, noch passender wäre dieser Beiname für Klausenburg, Klein-Budapest würde genauso entsprechen. Im Unterschied zu den anderen siebenbürgischen Städten haben wir das Gefühl hier tatsächlich in einer Stadt zu sein. Die übrigen Siebenbürger Städte sind nach heutigen Maßstäben eben Provinz – und sie strahlen das auch aus. Gemütlich, beschaulich, lebenswert, aber nach ein paar Tagen vielleicht auch ein wenig eng. Nach einer Woche, die mit der Besichtigung ungezählter Kirchen, Burgen, gotischer Häuser, Renaissance-, Barock- und Jugendstilpalästen ausgefüllt war, tut es gut, einfach nur durch die Stadt zu schlendern – im Bewusstsein, zwar sich sicher die eine oder andere Sehenswürdigkeit zu verpassen, aber eben nichts Weltbewegendes. Aber selbstverständlich lohnen die Michaelskirche, das barocke Bánffy-Palais, die Schneiderbastei, die Urania, viele andere Kirchen, der kakanische Bahnhof (von außen), selbstverständlich das Fellner-Helmer-Theater und vieles mehr einen Besuch oder zumindest einen Blick. Sehr guten Cappuccino gibt's im „Olivo Caffe", das erfreulicherweise auch ein Restaurant ist, das Attribut „chillig" trifft die Atmosphäre dieses Lokals am besten. Wer es gern klassisch-wienerisch hat, wird sich wahrscheinlich in der „Klausenburg Cafe-Konditorei" wohl fühlen.
Ein überraschendes Ende
Das wars mit Siebenbürgen. Die Heimreise sollte schneller von statten gehen als die Hinfahrt. So planten wir es. Eine Stadt machte uns aber einen Strich durch die Rechnung – Großwardein. Die altösterreichische Festung, Oradea auf Rumänisch und Nagyvárad auf Ungarisch überraschte mich vollkommen. Auf die Schönheiten Siebenbürgens war ich vorbereitet, aber das? Jetzt rächt sich, dass ich in diesem Text schon so viele Superlative verbraten habe, eindeutig eine falsche Dramaturgie, denn was bleibt jetzt noch für Großwardein? Vielleicht ein schlichter Satz: Diese Stadt ist wunderschön. Die einst fast ausschließlich von Ungarn bewohnte Metropole des Kreischgebietes ist ein Jugendstiljuwel. Auch wenn viele der Paläste (noch) nicht saniert sind, verpassen sie diese Stadt nicht!
Der Kreis schließt sich. Was in Szegedin mit einer vergeblichen kulinarischen Suche begann, endet mit einer solchen in Debreczin (ung. Debrecen). Auch die Debreziner kommen nicht aus Debreczin! Ergo aßen wir dort auch keine. Mir stand der Sinn ohnehin eher nach Süßem. Dieses Bedürfnis konnte ich in Debreczin vollauf befriedigen, gilt die Konditorei im prächtigen Jugendstilgebäude (sehenswert der Bartok-Saal) des Hotels „Aranybika", goldener Stier, doch als eine der besten Ungarns. Die kleine Debrecziner Innenstadt ist bestens saniert, meine ungarischen Freunde meinen, weil der Bürgermeister „ein Freund von Viktor" sei. Egal, das calvinistische Rom, wie die Stadt in meinem alten Österreich-Ungarn-Baedeker genannt wird, ist ein würdiger Abschluss unserer Altungarn-Reise. Viel Zeit zur Besichtigung blieb allerdings nicht mehr. Sie sollten in jedem Fall das Debrecziner Wahrzeichen, die riesige reformierte Kirche, auf ihren Besuchsplan setzen. Interessant sind auch die Uni und das Déri Museum. Debreczin werde ich mehr noch näher anschauen, auf einer neuen Reise durch das weite ungarische Land.
Mag. Josef Wallner
Text: Josef Wallner
Fotos: Norbert Eisner