Eigentlich bin ich ja eher für Deko, Verzierungen, Bilder und all solches „Gschisti-Gschasti“ zu haben, aber in dieser Villa braucht man das wirklich nicht. Zu Besuch in der Villa Tugendhat.
Architektur kann ver- und bezaubernd sein. Manchmal ist man von den Ideen begeistert, aber wohnen möchte man dann doch nicht in den Umsetzungen derselben. In der Villa Tugendhat ist das anders. Natürlich Bad und Küche sähen heute ganz anders aus und auch als Nanny hätte ich heute gerne mehr Komfort. Aber als Familienoberhaupt im 280m2 großen Wohnzimmer sitzen und das Panorama von Brünn mit Dom und Burg genießen und in den Sonnenuntergang bei offener Fensterfront blicken, dass hätte schon was. Auch mancher Artikel würde sich hinter der sonnenbestrahlten Onyxwand vielleicht noch besser schreiben. Aber der Reihe nach.
Bei meinem letzten Brünnbesuch ist es mir endlich gelungen, die Villa Tugendhat zu besuchen und ich kann euch nur empfehlen, solltet ihr die Gelegenheit haben und Tickets ergattern, lasst euch dieses Architekturjuwel nicht entgehen.
Geschichte
Die Villa entstand nach Plänen von Ludwig Mies van der Rohe und war nach kurzer Bauzeit 1930 fertig. Mies van der Rohe war zur damaligen Zeit bereits ein berühmter Architekt und es war ungewöhnlich, dass er diesen Auftrag annahm. Allerdings ließen ihm Fritz und Grete Tugendhat bei der kreativen Umsetzung seiner Pläne mehr oder weniger freie Hand und auch am Finanziellen sollte es nicht scheitern. Grete war die Tochter des Textilunternehmers Alfred Löw-Beer, der seiner Tochter das Grundstück in dem vornehmen Viertel Brünns zur Hochzeit geschenkt hatte und ihr auch sonst freie Hand über sein Bankkonto ließ.
Die Villa ist eine Stahlskelettkonstruktion und sowohl in ihrer funktionalistischen Bauweise, wie auch in ihren technischen Details einfach sagenhaft.
Von der Straßenseite fast unscheinbar anzusehen, entwickelt sie ihren größten Reiz durch das große Wohnzimmer, das man einfach gesehen haben muss. Der Raum mit seinen 280m2 (inklusive Wintergarten) ist fließend offen gestaltet und schafft dennoch durch Vorhänge, die Onyxwand oder einen Raumteiler für verschiedene Wohnsituationen Gemütlichkeit.
In einer Ecke mit Blick in den Wintergarten befindet sich die Bibliothek, die Rückzug erlaubt und man meint fast noch den Herrn des Hauses bei einem Glas Cognac in einem guten Buch lesend zu sehen. Davor ein Schreibtisch, der mittels Vorhängen in ein eigenes Reich der Konzentration verwandelt werden kann. Beim Arbeiten blickt man auf eine Onyxwand, die keinerlei Stützfunktion erfüllt, aber monumental und leicht zugleich wirkt und die von der untergehenden Sonne auch noch farblich verändert wird.
Der Wohnbereich mit gemütlich wirkenden Sessel (die man leider nicht ausprobieren darf, aber sie sehen so aus) und einem Glastisch (diese Art war auch in meiner Jugendzeit hochmodern) wirkt als sei sie aus einem modernen Wohnjournal übernommen. Und dann noch die Fensterfront! Nicht nur dass die großen Fenster einen wunderbaren Blick auf den Garten (man könnte auch Park sagen) und die Stadt Brünn freigeben, sie lassen sich auch noch komplett in der Wand versenken.
Natürlich ist diese Variante nicht gerade dämmfreundlich und energiesparend, aber weder Klima noch Umweltschutz, noch Heizungskosten waren für die Familie 1930 ein Thema. Und schön ist es schon. Da es im Sommer ziemlich heiß werden konnte, die Villa ist südwestlich ausgerichtet, wurde auch noch eine Markise vorgesehen. Und sollte auch diese nicht reichen, um eine angenehme Wohnatmosphäre zu schaffen, sorgte eine ausgeklügelte Heiz- und Kühltechnik im Keller für Abkühlung im Sommer und Wärme im Winter. Im ganzen Raum finden sich auch keine Radiatoren, einzig an vier Stellen an der Wand kann man Lamellen sehen, die für eine Luftzirkulation und den Luftaustausch vom Keller her sorgen. Genial.
Ein Wandbogen trennt schließlich noch den Essbereich weitgehend vom übrigen Raum. Sehenswert der große runde Tisch, der je nach Bedarf durch das Entfernen einzelner Teile größer oder kleiner gestaltet werden kann. Auf ihm wurde Geschichte geschrieben, denn in der Villa Tugendhat trafen sich zu den finalen Trennungsverhandlungen zwischen Tschechien und der Slowakei am 26. August 1992 Vaclav Klaus und Vladimir Mečiar um die „Scheidung“ beider Staaten per Vertrag zu fixieren. Am großen runden Esstisch der Villa Tugendhat wurde die Trennung besiegelt.
Bemerkenswert im Raum sind auch die „Säulen“ der Stahlkonstruktion, die den großen Raum ebenfalls ein wenig teilen, aber komischerweise nicht stören. Mit ihrer Verkleidung und den abgerundeten Ecken wirken sie fast wie gewollte Verzierungen.
Dieser große Raum ist das Prunkstück der Villa, wobei man ihn erst durch eine Wendeltreppe vom Eingangsbereich erreicht. Dieser ist mit „Milchglasscheiben“ von der Außenwelt abgegrenzt, die zwar Licht ins Haus lassen, aber zu neugierige Blick nicht durchlassen. Bereits beim Eingang solltet ihr auch unbedingt einen Blick auf die Lichtschalter werfen. Ich konnte es nicht glauben, aber auch diese Formen kann man heute noch kaufen.
Von manchen Zimmern der oberen Etage, die eigentlich die Eingangsetage von der Straße her ist, freut man sich ebenfalls über den schönen Blick auf die Stadt und kann auch auf einer Terrasse Platz nehmen um den Abend oder den Nachmittag zu genießen.
Die Kinderzimmer sind komplett in weiß ausgestattet, was auf den ersten Blick zwar verwundert, aber wie uns erklärt wurde, mit Teppichen und Spielzeug sicher nicht steril gewirkt hat. Im Nannyzimmer hat mich das kleine Waschbecken, das man im Kasten verstecken konnte ebenfalls fasziniert.
Die Küche ist sehr funktionell eingerichtet. Wenn ihr die große Besichtigungstour bucht, wird euch auch noch ein Blick in den Keller gewährt und der ist aus verschiedenen Gründen ebenfalls sehenswert.
Erstens kann man einen Blick auf die damaligen Versionen der Waschmaschinen werfen, zweitens gab es hier einen begehbaren Kleiderschrank, dessen Loch in der Tür ebenfalls für die Luftzirkulation sorgte und somit half Motten vom Kleiderfraß abzuhalten und drittens kann man sich noch die Heizungs- und Kühlvorrichtung erklären lassen, die auch heute noch funktioniert und auch manchmal noch eingesetzt wird.
Die Villa Tugendhat steht heute im Besitz der Stadt Brünn. Das Schicksal der Familie Tugendhat bewahrte die Mitglieder zwar davor von den Nationalsozialisten umgebracht zu werden, aber egal welches Regime an die Macht kam, die Familie gehörte immer zu den Ausgestoßenen.
Grete Tugendhat engagierte sich sehr bei der Liga der Menschenrechte und half vielen politisch verfolgten Deutschen ab 1933 zur Flucht. Durch ihre Berichte wusste sie aber auch, wann es Zeit war mit ihrer Familie das Land und damit ihre Villa zu verlassen.
Das Gebäude, das 2001 in die Unesco-Liste des Welterbes als Denkmal moderner Architektur aufgenommen wurden, bekam die Familie allerdings nicht wieder zurück.
Vor den Nationalsozialisten musste die Familie fliehen, weil sie jüdischen Glaubens waren, unter der Regierung Benesch wurde ihnen ihre Staatszugehörigkeit aberkannt, da sie als Deutsche galten und auch das kommunistische Regime dachte nicht im Traum daran, die Villa wieder zurück zu geben, schließlich gehörte die Familie ja der verhassten Bourgeoisie an.
Auch die Villa hatte ein bewegtes Leben bis sie wieder in ihrem heutigen Glanz erstrahlen konnte:
Während der Nazis wohnte hier ein deutscher Ingenieur, der die Onyx-Wand mit Ziegeln ummauerte. Warum auch immer er dies tat, es rettete sie bei einem Bombentreffer im Garten 1944, der zwar die komplette Fensterfront und die Ziegelwand zerstörte, die Onyx-Wand aber unbeschädigt ließ.
Danach zog die Rote Armee in der Villa ein, die sie in den unteren Räumen als Schlafunterkünfte für die Soldaten nutzte. Im großen Wohnraum war es allerdings durch die zerstörten Fenster zu kalt, daher wurden hier die Pferde untergebracht.
Schließlich nutzte eine Tanzschule die Räumlichkeiten, die Villa wurde zu einer Rehabilitationsklinik für Kinder mit Rückproblemen und in den 30er Jahren machte man daraus ein VIP-Hotel für hohe politische Persönlichkeiten.
Erst 2011 – nach einer großen Renovierung – wurde die Villa für die Öffentlichkeit geöffnet. Schaut sie euch an – es lohnt sich!
Die Villa Tugendhat ist täglich außer Montag von 18:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Letzter Eintritt ist um 17:30 Uhr. Tickets können online gekauft werden und sind sehr begehrt – ihr müsst also euren Besuch, wenn möglich, länger vorab planen.
Villa Tugendhat
613 00 Brno, Černopolní 45
Tel: +420 515 511 015/017
Email:
www.tugendhat.eu
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