65 Jahre musste es dauern, um mehr über den besonderen Mann zu erfahren, nach dem die Gasse benannt wurde, in der ich aufgewachsen bin.
Die Weisselgasse – ein kleines Gässchen im 21. Bezirk in Wien. Hier wohnte ich bis zu meinem 19. Lebensjahr und obwohl Geschichte mich auch ab der Pubertät bereits interessiert hat, hab ich mich mit der Geschichte des Namensgebers gar nicht auseinander gesetzt.
Auch der Schlinger Hof musste fast 65 Jahre warten, bis ich einmal einen Innenhof betreten habe – aber das hat sich gelohnt. In Erinnerung an die Februarkämpfe 1934 wurde hier das Stück Schlinger Heroes aufgeführt und es ist schade, dass dies nur dreimal möglich war und auch immer nur von einer kleinen Anzahl Menschen besucht werden konnte. Aber: Es ist was los in Mordor! (Weitere Informationen über Veranstaltungen in Floridsdorf findet ihr unter https://wasgehtabinmordor.com/)
Ich kann allen Transdanubiern nur empfehlen öfter mal diese Seite zu besuchen. Es ist echt schade, eigentlich ums Eck zu wohnen und so viele tolle Veranstaltungen zu versäumen. (Unter anderem Erika Pluhar bei einer Lesung in der Likörstube!)
Doch nun zu den Schlinger Heroes und Georg Weissel
Über eine Freundin habe ich von dem Stationendrama in und um den Schlingerhof erfahren. Treffpunkt für die Zuschauer ist hinter dem Schlingermarkt. Tee mit und ohne Rum wird ausgeschenkt und die Wartenden erfahren vorab ein wenig darüber, was bei den Februaraufständen in Österreich passierte, warum sie ausbrachen, wer gegen wen und warum.
Auch über diese dunkle Geschichte wurde zu meiner Zeit nicht besonders viel in der Schule und auch nicht zu Hause erzählt. Einzig der jüngere Bruder meiner Oma, der hin und wieder zu ihr auf Besuch kam und den ich sehr mochte, hat davon berichtet. Auch er scheint aktiv (zumindest bei den Sozialisten oder Kommunisten) gewesen zu sein, was ihm auch einen Gefängnisaufenthalt eingebracht hatte.
Allerdings wurde er nicht von der Regierung, sondern von den Nationalsozialisten verhaftet. Ich erinnere mich noch gut, dass er immer folgendes erzählte:
„Und dann saßen wir mit den Christlich-Sozialen in einer Zelle. Die wurden nämlich genauso eingesperrt wie wir. Und was machen sie? Fangen wieder zum Streiten an. Da hab ich zu ihnen gesagt: Seids scho ganz deppat wurn? Habts no immer net gmerkt, wer wirklich unser Gegner is? Aber schön langsam haben sie es dann doch kapiert.“
Diese Geschichte hat er oft erzählt und dass zu dieser Zeit Österreicher auf Österreicher geschossen haben. Dieser Umstand hat ihn auch noch im Alter betroffen gemacht und ist mir gut in Erinnerung geblieben. Vielleicht bin ich deshalb so empfindlich, wenn sich heute die Roten und die Schwarzen wieder in die Haare bekommen. Gerade seit der türkisen Zeit fehlt für mich – bei aller Gegensätzlichkeit der Ideen oder Ideologien – der Respekt voreinander. Und mit der Sprache und des gegenseitigen Verächtlichmachung hat es auch damals alles begonnen, bald darauf war Hass salonfähig. Stücke wie die Schlinger Heroes sind daher meiner Meinung nach mehr als notwendig um aufzuklären.
Das Stück beginnt – eigentlich mit dem Ende der Februaraufstände. Diese wurden blutig niedergeschlagen, auch um den Schlingerhof wurde gekämpft und nun wird Georg Weissel, der Feuerwehrkommandant, der sich eigentlich nicht mehr beim Schutzbund engagierte, vor ein Standgericht geführt. Er ist zu Beginn des Aufstandes zu den Kameraden geeilt, um sie zu unterstützen.
Wir hören kurz in die Gerichtsverhandlung hinein. Weissel übernimmt - wissend, dass dies sein Todesurteil bedeuten kann – die volle Verantwortung, verrät keinen einzigen Kameraden und wird zum Tode verurteilt.
Nun geht es in den Innenhof des Schlingerhofs, Menschen flüchten, einige liegen bereits tot oder zumindest schwer verletzt am Boden. Allein diese Szene ist bedrückend – damals wurde auch der Schlingerhof wurde beschossen, hier wurde wirklich gekämpft. Auf alten Bildern kann man noch die Einschüsse der Artillerie erkennen.
Im nächsten Innenhof spielt die nächste Szene: Georg Weissel festgenommen, Trommler kündigen das Standgericht an und auch die Kirchenvertreter sind auf Seiten der Diktatur im Boot. Auch deshalb hat es bis Bruno Kreisky und Kardinal König gedauert, um beide Institutionen wieder miteinander zu versöhnen.
Nach einer kurzen Filmführung im Keller geht es dann in die Likörstube, wo wir eine der „Hausmeisterinnen“ der damaligen Zeit treffen. Ohne sie wäre der Aufstand wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Sie haben Waffen verteilt, die Männer versteckt, ihnen bei der Flucht geholfen. Doch ihr Mann konnte nicht fliehen, er wurde verhaftet, ein anderer erschossen.
Diese Szene fand ich besonders bedrückend. Eine Dame aus besseren „Kreisen“ erscheint (damals wurden auch alle Vorfeldorganisationen der Sozialisten verboten: Naturfreunde, Kinderfreunde, etc), um wie sie sagt die Hand zu reichen und Unterstützung zu bieten. Doch was sind die angebotenen 50 Schilling gegen das Leben eines Mannes: „Auf das Geld pfeif ich, die paar Scheine bringen mir den Mann nicht mehr zurück“.
Vielleicht war es damals gut gemeint, doch das Angebot wirkt hochnäßig und herablassend, es kann die Wunde der Auseinandersetzung nicht heilen.
Als Zuschauer musste man sofort an die Kriege unserer Tage denken: Ukraine, Gaza. Diese Konflikte dauern bereits Jahre, die Februarkämpfe waren nach wenigen Tagen zu Ende. Wie lange erst wird es dauern, um hier die Kriegsgegner zu versöhnen - nach einem Waffenstillstand. Wird dies überhaupt je möglich sein, wie viele Generationen wird es dauern?
Und auch bei uns sieht es heute so aus, als stünden sich beide Seiten wieder mit mehr und mehr Hass gegenüber.
Theater und Stücke wie die Schlinger Heroes sind wichtig. Nicht nur, weil sie uns ein Stück unserer eigenen Geschichte näherbringen, die gerne verdrängt und fast schon vergessen wurde, sondern auch um Menschen verstehen zu können, die als Flüchtende oder Asylsuchende zu uns kommen und all den Schrecken hinter sich lassen und vergessen wollen.
Den Abschluss der Vorführung bildete noch eine fulminante Feuershow am Schlingermarkt, die noch einmal den Namen Georg Weissel in den Mittelpunkt stellte.
Idee, Konzept und Regie hatte Ursula Napravnik, Mathias Lenz, war als Georg Weissel zu sehen, Katarina Maria Trenk war eine sehr berührende Mali, Sabine Marte eine hochnäsige Frau Exzellenz und Didi Bruckmayr spielte den Heimwehrführer. Für den Sound zeichnete Möström (Elise Mory, Tamara Wilhelm und Susanna Gartmayer), für die Performance Flame Rain Theatre, Žiga Jereb, Gregor Mahnert, Didi Kern verantwortlich. Die Ausstattung und die Kostüme kamen von Hanna Hollmann und Lisa F. Napravnik.
Ich freue mich schon auf die nächsten Veranstaltungen. Wir sehen uns – in Mordor!
Hier noch ein kleiner Einblick in die verschiedenen Szenen: