Bei unserem Besuch in Brünn war ein Abend im Janáček-Theater für das Ballett reserviert. Allerdings nicht für bekannte Werke wie Schwanensee oder Romeo und Julia, sondern für Beethoven.
Es ist ein neues Werk des Choreographen Mário Radačovský, der den 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven zum Anlass nahm, dem großen musikalischen Genie mit einem eigenen Ballett zu gedenken. Aber auch hier sorgte die Pandemie für einige Verzögerungen bei den Aufführungen, sodass wir noch in den Genuss der letzten Aufführung in dieser Spielsaison kamen.
Radačovský verquickt bei diesem Stück auf wunderbare Weise die Musik Beethovens – mit Ausschnitten aus der 5., 6., 7. und 9.Symphonie, aber auch Klaviersonaten – mit seinem Leben.
Beethoven hatte kein leichtes Leben. Seine Jugend war von seinem despotischen Vater geprägt, später litt er unter gesundheitlichen Problemen, die schließlich in seiner Taubheit gipfelten. Dennoch schuf er – auch noch in Zeiten als sein Hörvermögen beinahe nicht mehr vorhanden schien – Musik, die uns noch heute begeistert und vor allem im Innersten berührt. Radačovský schafft es nun die Musik, die einzelnen Lebensabschnitte, seine Lieben und sein Ende spektakulär zu verbinden. Orchester, Chor und Tänzer sind auf der Bühne miteinander verbunden. Die Tänzer im Vordergrund nah am Publikum, erhöht im Hintergrund Orchester und bei der 9. Symphonie der Chor.
Stimmungsvoll und aufmerksamkeitsstark bereits das erste Bild. Ein schwarzer Todesengel alleine auf der Bühne in Erwartung eines Menschenlebens, das er von Beginn bis zu seinem Ende begleiten wird. Auch bei seinen Liebschaften, der Todesengel ist immer mehr oder weniger bestimmend mit dabei.
Wunderbar die Szenen der Liebenden, die wenigen Momente in seinem Leben als er wahrscheinlich glücklich gewesen ist.
Zunehmend steuert dann die Aufführung auf den berührendsten Höhepunkt zu: der Ode an die Freude. Orchester, Chor und Ballett in Höchstform. Dazu sieht man an der Videowall Bilder von Militärparaden, Bombenabwürfen, Krieg und Zerstörung. Diese (fast) letzten Bilder, zusammen mit Musik und Tanz (man weiß gar nicht wohin man blicken soll), haben mich zutiefst betroffen gemacht.
Allein in einer Zeit des Krieges in Europa zu hören:
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt
und
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Und dazu noch die kriegerischen Bilder zu sehen, hat mich zu Tränen gerührt. Wie verrückt sind wir eigentlich alle, diese Grausamkeiten immer wieder zuzulassen? Wo wir doch alle nur gemeinsam verlieren, anstatt gemeinsam im Frieden zu gewinnen!
Diese Szene jedenfalls war für mich der absolute Höhepunkt meines Brünn-Wochenendes und eigentlich auch der Höhe- und Schlusspunkt der Aufführung.
Diese geht allerdings noch weiter und schließt schließlich wenig später mit dem Tod des musikalischen Genies.
Großartig für mich die Tänzer, die auch einige anstrengende Übungen vollführen müssen, indem sie immer wieder auf Blöcke hochklettern müssen und diese auch verschieben, umstoßen und wieder aufstellen müssen.
Wunderbar die Choreographie, die auch nicht Ballettaffine wie mich auf diesen Abend mitnimmt und durch das Stück führt. Hier sei besonders Thoriso Magongwa, die den Tod und die Taubheit (Todesengel) darstellte, erwähnt. Für mich eindeutig der Star des Abends.
Leider scheint es die letzte Aufführung des Stücks gewesen zu sein, ich hoffe auf eine Neuaufnahme in der nächsten Saison. Ich würde Beethoven gerne noch einmal sehen (und hören): ein vielfältiges Werk mit vielen – oft auch kleinen – aber wunderbaren Details, einer hervorragenden Lichtgestaltung, wunderbarer Musik, tollen Kostümen und ausgezeichneten Tänzern.
Ein Abend zum Genießen, aber auch zum Nachdenken. Fast mehr als man von einem Besuch in der Oper erwarten kann …
Besetzung:
Beethoven: Martin Svobodník
Tod und Taubheit: Thoriso Magongwa
Junger Beethoven: Arthur Abram
Mutter und Engel: Klaudie Kakomá
Erste Liebe: Emilia Vuorio
Junge Liebe: Eriko Wakizono
Schicksalshafte Liebe: Klaudia Radačovsaká
Lucifer: Shoama Ogasawara
Vater: Petr Hos
Die Klaviersoli wurden von Jiří Hrubý gespielt.
Choreographie und Regie: Mário Radačovský
Dirigent: Robert Kružik