Am 2.11.2022 startete das Janáček-Festival mit einer Premiere – mit großem Erfolg. (Foto © Marek Olbrzymek, NdB)
Es ist keine leichte Kost, die das Publikum zu Beginn des Festivals serviert bekam und in Zeiten wie diesen wirken die Bilder vielleicht noch ein wenig bedrückender, doch der tosende Applaus am Ende der Aufführung belohnte das Ensemble und zeigte, wie sehr man solche Aufführungen schätzt.
Bei dieser Aufführung im Rahmen des Janáček-Festivals kamen nicht nur zwei außerordentliche Persönlichkeiten der Musikwelt zu einem Projekt zusammen – Jakub Hrůša als Dirigent und Jiří Heřman, der die Regie übernahm – sondern es wurde auch erstmals „das Totenhaus“ mit einer szenischen Aufführung der „Glagolitischen Messe“ verbunden. Ein Experiment, das man durchaus als gelungen bezeichnen kann.
Aus einem Totenhaus
Die Musik von Leoš Janáček enthält einige wunderschöne harmonische Passagen, fast so als würde sie überhaupt nicht zu dem schrecklichen Inhalt passen. Das Stück spielt in einem Gefangenenhaus am Ende der Welt. Einem Ort der Strafe und des Leidens. Hier sühnen politische Gefangene mit Mördern, Dieben und Landstreichern ihre Taten.
Schon das erste Szenenbild zeigt für mich den ganzen Schrecken: Ein verletzter Adler erregt in allem die Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit.
In Wirklichkeit aber hängt ein Mensch angekettet an zwei Seilen in luftiger Höhe – meine Assoziation mit Jesus ist sofort vorhanden und dieses Sinnbild zieht sich für mich durch die ganze Oper und auch durch die Glagolitische Messe. Es transportiert für mich auch den Gedanken, den Janáček gleich am Beginn der Partitur des Totenhauses vermerkte: In jeder Kreatur ein göttlicher Funke!
Allein der Glaube an Gott kann uns unter diesen schrecklichen Verhältnissen das Überleben sichern, kann uns zeigen dass wir Menschen sind, dass immer noch Gutes in uns vorhanden ist und dass immer Hoffnung besteht.
Vorlage zur Oper waren die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus von Dostojewski, der darin auch seinen Aufenthalt in einem sibirischen Zuchthaus verarbeitet hat und das Alltagsleben wie auch die Lebensschicksale einzelner Sträflinge dabei verarbeitet hat. Trotz all dem Schrecklichen, der Wutausbrüche, der Prügeleien und der teilweise entsetzlichen Taten finden jedoch sowohl Dostojewski wie auch Janáček in der groben Schale mancher Gefangenen etwas Tieferes, Menschliches.
Janáček gelang es hervorragend sowohl das Gute, das Menschliche, wie aber auch die Abgründe und den Hass, den Zwiespalt, der in diesen Gefangenen steckt, musikalisch auszudrücken.
Jakub Hrůša gelingt es ausgezeichnet dem Orchester und den Sängern die jeweiligen Klänge zu entlocken. Die Inszenierung Jiří Heřmans fängt mich ein, lässt den Besucher schaudern und lädt gleichzeitig zum Nachdenken ein.
Selten habe ich mir nach einer Aufführung so viele Gedanken über das Stück, die Musik und die gezeigten Bilder gemacht. Irgendwie scheint das eine Spezialität von Jiří Heřman zu sein, die Zuschauer mit seinen Inszenierungen zum Nachdenken anzuregen. Schon bei der Griechischen Passion erging es mir ähnlich. Wahrscheinlich ist das mit ein Grund, warum ich von den Vorstellungen im Janáček-Theater so begeistert bin.
Der Übergang von der Oper zur Messe gelingt ansatzlos. Die Entstehung der Glagolitischen Messe überschnitt sich teilweise mit der Arbeit am „Totenhaus“, das Janáček nicht mehr vollenden konnte. In Brünn wird bei dieser Festivalinszenierung das „Totenhaus“ erstmals in Tschechien eine neue kritische Edition von Prof. John Tyrell präsentiert, in der das Werk so getreu wie möglich in jene Form zurückversetzt wurde, wie sie von Janáček selbst erdacht, jedoch nie vollendet wurde.
Die Glagolitische Messe
Die Glagolitische Messe – eine Messe nach einem altslawischen Text – muss auch verbunden mit dem damals stärker werdenden Nationalitätsbewusstsein seiner Zeit gesehen werden. Doch Janáčeks Intentionen gingen darüber hinaus: Ich wollte hier den Glauben an die Gewissheit der Nation nicht auf der religiösen Grundlage festhalten, sondern auf der sittlichen, starken Grundlage, die Gott zu ihrem Zeugen macht.
Durch die Verbindung beider Werke – in der Inszenierung auch durch den Adler (Jesus) verbunden, entwickelt sich auch eine neue, hoffnungsvollere Aussage beider Werke: Die Stärke des Glaubens an den Menschen und damit eigentlich ein hoffnungsvollerer Ausblick als es zuerst scheint.
Während des Janáček-Festivals 2022 wird „Aus einem Totenhaus / Glagotische Messe“ noch am 6.11. und am 26.11.2022 zu sehen sein. Danach findet noch eine Aufführung am 21.1.2023 statt. Lasst es euch nicht entgehen.
Leoš Janáček: Aus einem Totenhaus / Glagolitische Messe
Janáček-Theater, Nationaltheater Brno
Dirigent: Jakub Hrůša
Regie: Jiří Heřman
Alexandr Petrovič Gorjančikov: Roman Hoza
Luka (Filka Morozov) / Ševcová: Gianluca Zampieri
Skuratov / Popová: Peter Berger
Šiškov / Mlynář: Pavol Kubáň
Placmajor: Jan Šťáva
Aljeja: Jarmila Balážová
Orel (Adler): Michal Heriban
Lujza: Edit Antalová
Akulina: Kateřina Kněžíková
Das Janáček-Festival zeigt bis zum 20.11.2022 noch einige weitere interessante Produktionen. Mehr über das Festival mit allen Aufführungen und der Möglichkeit gleich Karten online zu bestellen, findet ihr hier: https://janacek-brno.cz/de/program/
Tosender Applaus und standing ovations nach der Aufführung:
Übrigens: Unter dem Theater befindet sich eine Tiefgarage, die eine direkte Verbindung mit dem Janáček-Theater besitzt. Wer also von Wien mit dem Auto (ungefähr zwei Stunden, wenn man den Abendverkehr in Brünn mitberücksichtigt) nach Brünn kommt, kann von der Garage in Abendkleidung direkt ins Theater gehen.
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