Im Kunst Haus Wien ist vom 15.9.2022 – 19.2.2023 eine beeindruckende Ausstellung von Werken von Gregor Sailer zu sehen. (Gregor Sailer, Militärstation, Norwegen 2020 aus der Serie The Polar Silk Road © Gregor Sailer, Bildrecht Wien 2022)
Es ist eine Ausstellung, die nachdenklich macht. Gregor Sailers Fotoarbeiten zeigen ungewöhnliche Bauten an den Randgebieten der menschlichen Zivilisation. Sperrgebiete, für deren Betreten Sondergenehmigungen und langwierige Verhandlungen notwendig sind. Landschaften und Bauten, die ein „normaler“ Bürger wie du und ich nie zu Gesicht bekämen, von deren Existenzen und Zweck wir vielleicht gar nichts wissen – und es aber doch wissen sollten.
Sailer nimmt uns durch seine Arbeiten mit in unwirkliche Weltgegenden, Potemkinische Dörfer und an Orte, die nur für wenige – teilweise mit speziellen Interessen und Aufgaben – zugänglich sind.
Um seine Aufnahmen zu tätigen, braucht es langjährige Vorbereitungen, Recherchen, manchmal das Einholen von unzähligen Genehmigungen – um dann vielleicht nur Stunden für seine Arbeit Zeit zu haben. Fotografieren zum Teil unter extrem schwierigen Umweltbedingungen.
Doch die Mühe lohnt. Den Besucher erwarten menschenleere Bilder, die über vielfältige Themen zum Nachdenken anregen.
The Polar Silk Road
Es ist die jüngste Serie an Arbeiten von Gregor Sailer, für die er mehrere Expeditionen in die Arktis unternommen hat. Seine Bilder dokumentieren den globalen Machtkampf um diese ökologisch, ökonomisch und sicherheitspolitisch höchst relevante Region.
Hier wird nicht nur geforscht, der Klimawandel macht es leichter nach Bodenschätzen zu suchen und der Rückgang des Eises eröffnet neue kürzere Schiffverbindungen. Natürlich hat auch schon das Militär Stellung bezogen.
The Box
Sailer beschäftigt sich aber auch mit der Vergangenheit. In der Werkgruppe „The Box“ zeigt er einen sonst unzugänglichen Bergwerksstollen in den Tiroler Arbeiten, der während des Zweiten Weltkriegs als unterirdische Fabrik genutzt wurde.
In der sogenannten Messerschmitthalle wurden von ZwangsarbeiterInnen Kampfflugzeuge für das Nazi-Regime gebaut.
Die Kokerei Hansa
Es ist eine der früheren Arbeiten von Gregor Sailer, in der er die Kokerei Hansa in Dortmund fotografiert. Die Kokerei war eine von siebzehn Großkokereien, die in den 1920er Jahren im Ruhrgebiet errichtet wurden.
Sailer fotografiert das Industriegebiet kurz vor dem Abriss in den laubfreien Wintermonaten in Schwarz-Weiß. In der Ausstellung im Kunst Haus Wien ist nun eine beeindruckende Slideshow dieser Aufnahmen zu sehen.
Potemkin Village
Die Bilder dieser Serie zeigen die Welt der Fakes und Kulissen – sie sind aber mehr als das. Sailer geht es hier nicht um die Kulissen einer Filmproduktion. Seine Bilder hinterfragen mitunter absurde Auswüchse unserer Gesellschaft. So zeigen die Aufnahmen Gefechtsübungszentren in den USA und Europa, in denen Soldaten den Straßenkampf üben können.
Detailreiche Repliken deutscher oder holländischer Städte in China sind ebenso zu sehen wie Orte in Schweden, die eigens für Fahrzeugtests errichtet wurden. Aber auch Potemkinsche Dörfer in Russland sind zu sehen, wo im Zuge eines Putin-Besuchs ganze Straßenzüge zweier Ortschaften mit Tapeten und Planen beklebt wurden, um leergestehende Gebäude mit einer vorgetäuschten Betriebsamkeit zu versehen.
Auch wenn keine Menschen auf seinen Bildern zu sehen sind, finde ich es trotzdem erstaunlich dass Gregor Sailer überhaupt die Erlaubnis bekam, diese Bilder zu machen. Gleichzeitig ist es erschütternd, die Hintergründe der Bauten zu erfahren.
Damit sind seine Bilderwelten nicht nur einzigartige Kunstwerke, sondern auch unwiederbringliche Zeitdokumente. Es sind die Geschichten hinter den Bildern, die sie noch wertvoller machen. Obwohl nie ein Mensch zu sehen ist, sagen seine Arbeiten vieles über die Menschheit aus.
Vielleicht sollte man daher auch die Ausstellung im Obergeschoss beginnen. Hier gibt es zwei Videoinstallationen, die das „Making of“ von vier verschiedenen Serien erzählen. Nehmt auch die Zeit – egal ob am Anfang oder am Ende eures Ausstellungsrundganges und sehr sie euch an.
Zusätzlich gibt es noch zwei Vitrinen, in denen die Korrespondenz und weitere Fotos über die Schwierigkeiten bei Genehmigungen und die Vorbereitung / Recherche der Serien erzählen. Ebenfalls unbedingt sehens- und lesenswert.
Zur Ausstellung ist ebenfalls ein toller Katalog erschienen und es gibt ein ausführliches Rahmenprogramm, von dem ich hier nur ein paar Highlight aufzähle. Die Termine über das weitere Programm und die Führungen findet ihr unter https://kunsthauswien.com/de/
Rahmenprogramm Highlights:
Dialogführung
Am Donnerstag, den 13.10.2022 findet eine Dialogführung mit Gregor Sailer und der Kuratorin Verena Kaspar-Eisert statt. Unbedingt empfehlenswert. Es ist sehr interessant dem Künstler bei seinen Ausführungen über seine Werke, der Vorbereitung und der Recherche zu seinen Fotografien zuzuhören.
Photowalks zu Unseen Places Vienna:
Photowalks gibt es am Freitag, den 23.9.2022 von 15:00 bis 18:00 Uhr im Tiefspeicher der Wienbibliothek und am Freitag, den 14.10. sowie am 11.11.2022 von 15:00 bis 18:00 Uhr im Kraftwerk Simmering. Tickets dafür sind exklusiv im Online-Ticketshop erhältlich.
Artist Lecture
Am Dienstag, den 22.11.2022 spricht Gregor Sailer um 17:00 Uhr im Rahmen der Vienna Art Week über seine fotografischen Expeditionen.
Future Talk: Climate X-Change
Im Rahmen der Future Talk-Serie gibt es am Mittwoch, den 25.1.2023 um 18:00 Uhr einen Vortrag über die polare Seidenstraße.
Das Kunst Haus Wien ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet
AutorIn des Artikels: