80 Jahre nach Kriegsende erinnert das Jüdische Museum am Judenplatz in Wien mit einer fulminanten Fotoausstellung an die Gräuel von einst, unser „Vergessen“ und unserem Umgang mit der Geschichte und den Gedenkstätten.
Der niederländische Fotograf Roger Cremers dokumentiert seit 2008 historisch bedeutende Landschaften, ehemalige Kriegsschauplätze und Gedenkstätten in Europa und setzt sich so nicht nur mit den Ereignissen in der Vergangenheit auseinander, sondern auch mit unserem Erinnern und Gedenken an die Geschehnisse von einst.

Cremer besuchte Orte, in denen die Spuren des Zweiten Weltkriegs und der Schoa bis heute auf unterschiedliche Weise zu finden sind. Wie gehen wie heute mit diesen Gedenkstätten um? Wie nehmen wir sie wahr? Sind es Gedenkstätten? Tourismusziele? Orte der Erinnerung, des Innehaltens?

Seine Bilder stellen all diese Fragen und zeigen zum Teil auch die Skurrilität und auch die Doppelbödigkeit, mit der wir heute damit umgehen.

Die Ausstellung im Jüdischen Museum am Judenplatz legt einen besonderen Fokus auf die Auseinandersetzung mit der Schoa in der Gegenwart.

2024 hat Roger Cremers im Auftrag des Jüdischen Museums auch in Österreich fotografiert, zu sehen sind seine Arbeiten über die KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Gusen und Melk, die Euthanasie-Gedenkstätte Schloss Hartheim sowie mehrere Orte in Wien. Damit rundet sich das Bild der Ausstellung ab, ergibt sich auch ein Bezug zur österreichischen Erinnerungs- und Verdrängungskultur.
Sag‘ mir wo die Blumen sind …
Der Titel der Ausstellung erinnert an das gleichnamige Antikriegslied von Pete Seeger aus dem Jahre 1955, das in der deutschen Version von Max Colpet von Marlene Dietrich und Hildegard Knef große Bekanntheit erreichte.

Auch Cremers widmet sich den zentralen Fragen des Liedes: Was ist geschehen? Wann wird man je verstehen? und er fragt sich auch wie wir heute in der Gegenwart mit dem „Gedenken“ umgehen. Wissen die Besucher, die heute das Haus des Meeres mit ihren Kindern besuchen, dass gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Kinder im Alter ihrer Kinder die Flugabwehr „übernehmen“ mussten? Was bedeutet es, heute im Augarten bei den „Flaktürmen“ spazieren zu gehen und mit seinen Kindern zu spielen?

Cremers widmet sich auch der „Nachnutzung“ bestimmter Kriegsbauten. Kann es sein, dass wir nichts dabei finden, in ehemaligen Kommandozentralen Burgerfilialen zu eröffnen oder sie einfach abzureißen, damit endlich „Schluss mit dem Erinnern“ ist? Ist es ok, wenn Schlachten „nachgespielt“ werden, um die Erinnerung an den Sieg hochzuhalten?

Mit seinen Fotos legt Cremers auch den Finger in diese Wunden, regt den Betrachter zum Nachdenken an, und dazu Stellung zu beziehen. Erinnerungen können unbequem sein und sie können sich auch mit der Zeit verändern, sie sind umkämpft, im familiären wie im politischen Bereich. Die Bilder von Roger Cremers laden ein, genau hinzusehen, wenn es um die Erinnerung traumatischer Ereignisse geht, sensibler zu werden, was der Umgang damit über die Einstellungen der Gegenwart aussagt.

Sie laden aber auch ein, nicht nur über vergangene Ereignisse nachzudenken und diese aufzuarbeiten, sondern auch Entwicklungen der Gegenwart zu erkennen und – bei Fehlentwicklungen – dagegen Stellung zu nehmen.

Die Zivilgesellschaft ist heute wieder gefordert, Parallelen zu vergangenen Entwicklungen werden immer stärker sichtbar. Lernen wir aus der Vergangenheit, damit die Gegenwart nicht in ähnliche Katastrophen führen wird.

Roger Cremers ist ein niederländischer Fotograf, der für seine Arbeiten zur europäischen Erinnerungskultur bekannt wurde. Er greift in seinen Arbeiten historische und gesellschaftliche Themen mit dokumentarischer Präzision und kritischen Blick auf und zeigt dabei die Spannung zwischen den dunklen Kapiteln der Vergangenheit und ihrer heutigen Erinnerung, wobei er oft auch eine ironische Sichtweise bietet.

Für seine Reportage über TouristInnen in Ausschwitz wurde er 2009 mit dem World Press Award ausgezeichnet.

Die Ausstellung im Jüdischen Museum am Judenplatz ist bis 18. Jänner 2026 zu sehen. Das Museum ist Sonntag bis Donnerstag von 10:00 bis 18:00 Uhr, Freitag 10:00 bis 17:00 Uhr (Sommerzeit) und bis 14:00 Uhr (Winterzeit) geöffnet.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
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