Die Albertina präsentiert in dieser Ausstellung anhand zahlreicher Zeichnungen den Wandel des „Menschenbildes“ von Michelangelo bis Klimt und Schiele.
Ich sollte – bevor ich mir eine Ausstellung ansehe – den Titel dieser immer genau lesen, sonst trifft die Erwartungshaltung einfach nicht mit dem Ausstellungsgegenstand überein. So auch hier: ich habe mir Michelangelo erwartet – Nur Michelangelo. „Die Folgen“ hatte ich total ausgeblendet und daher hat es mich anfangs überrascht, viele Werke anderer Künstler zu sehen.
Dem Gelingen und Erfolg der Ausstellung tat es allerdings keinen Abbruch – im Gegenteil, sie ist sehenswert und man bekommt einen neuen Blick auf verschiedene Epochen.
Die Albertina ist im Besitz zahlreicher Zeichnungen von Michelangelo und erst dieser Schatz ermöglicht ein Zustandekommen einer Schau wie dieser. Aber wer war eigentlich dieser Michelangelo Buonarroti?
Michelangelo wird 1475 in Caprese bei Florenz geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Florenzer Familie und war der Zweitgeborene von insgesamt vier Brüdern.
Schon in jungen Jahren wollte er Künstler werden, obwohl sein Vater dagegen war. Schließlich setzte sich der Sohn aber mit seinen Ausbildungs- und Berufswünschen durch.
1496 führt er in Rom die Pietà für St. Peter aus, 1501 entsteht in Florenz die Skulptur des David – beide Werke bedeuten seinen künstlerischen Durchbruch.
1504 arbeitet er an einem monumentalen Wandgemälde der Schlacht von Cascina im Palazzo Vecchio in Florenz, an der gegenüberliegenden Wand arbeitet Leonardo da Vinci an der Schlacht von Anghiari. Das Fresco Michelangelos wird nie ausgeführt, aber es erhalten sich die Vorzeichnungen dafür und in ihnen kann man bereits das Ringen des Künstlers um einen idealen, männlichen Akt erkennen.
1505 beruft ihn Papst Julius II. nach Rom. Michelangelo soll sein Grabmal gestalten. Das Projekt begleitet den Künstler jahrelang, aber es bleibt unvollendet. Dennoch findet sich in Rom eines seiner bekanntesten Werke: von 1508 bis 1512 malt Michelangelo die Fresken an der Decke der Sixtinischen Kapelle und von 1536 bis 1541 entsteht das Fresko des Jüngsten Gerichts.
Dazwischen arbeitet Michelangelo wieder in Florenz und es entstehen die Familiengräber der Medici.
In seinem Spätwerk setzt sich der Künstler mit der Kreuzigung und der Pietà in Zeichnungen und Skulpturen auseinander.
1546 übernimmt er die Leitung des Neubaus von St. Peter.
Er stirbt mit 88 Jahren im Jahr 1564 in Rom.
Eigentlich fühlte sich Michelangelo sehr der Bildhauerei verbunden. Auch wenn nicht alle Skulpturen in der Ausstellung von Michelangelo stammen und auch nicht immer Originale sind, muss ich gestehen, dass sie mich fast noch mehr beeindruckt haben als die Zeichnungen. Vielleicht liegt es an ihrer Monumentalhaftigkeit, wahrscheinlich aber an ihrer Fertigung. Unglaublich wie ausdruckstark manche Gesichter sind, wie anmutig die Körper gestaltet wurden, wie fein Details ausgeführt sind.
Toll auch wie gut man die spätere Dreidimensionalität der Figuren in der Ausstellung herausgearbeitet hat, man wird wirklich zum „Herumgehen“ um die Skulptur förmlich gezwungen und Spiegel zeigen uns bei manchen Ausstellungsstücken jeden Winkel des Kunstwerkes. Beeindruckend.
Doch zurück zu den Zeichnungen. In der Renaissance und dem aufkommenden Humanismus beginnt man sich mit dem menschlichen Körper und seinen Proportionen zu beschäftigen. Albrecht Dürer, ebenfalls ein Zeitzeuge, sammelt über Jahrzehnte Material für seine „Vier Bücher über menschliche Proportion“ – er sucht den Menschen nach Maß.
Michelangelo und Leonardo da Vinci sezieren – obwohl strengstens verboten – Leichen, um dem Geheimnis des Zusammenspiels der Muskeln auf den Grund zu kommen. Ein athletischer und kraftvoller Männerakt ist das Ziel – und Michelangelo kommt ihm in seinen Skulpturen und seinen Zeichnungen sehr sehr nahe. Der klassische Akt trachtet nach dem harmonischen Ausgleich zwischen allgemeinen Formeln wie standardisierten Posen, dem Studium der Anatomie nach antiken Skulpturen oder der maßstabähnlichen Gliederung der Körperteile nach den formalisierten Proportionen und dem Zeichnen nach der Natur.
Der Typus des schönen und muskulösen nackten männlichen Körpers ist das Ziel. Frauenabbildungen spielen in Michelangelos Zeit keine größere Rolle. Sie werden eher nur von ihrer Rückseite gezeigt, es gibt keine weiblichen Vorlagen, sondern männliche Akte werden auch dafür herangezogen und „verweichlicht“.
Dieser Idealtypus herrscht lange Zeit vor, er ist Vorgabe für spätere Künstlergenerationen. Es wird allerdings weiter am menschlichen Körper geforscht, manchmal werden Muskelpartien sogar überdeutlich betont, doch immer ist die Harmonie, das Schöne im Mittelpunkt.
Erst im Barock treten unterschiedliche Positionen hervor. Während sich Rubens mit dem realen, lebenden Modell beschäftigt und die antike Nacktheit neu zum Leben erweckt, zeigt Rembrandt auch die Hässlichkeit realer Menschen, deren Vergänglichkeit und deren Schwächen. Damit stellt er sich in einen starken Gegensatz zu den athletischen, schönen Körpern von Michelangelo und wird dafür auch anfangs angefeindet.
Bevor wir noch zu den Bildern von Klimt und Schiele kommen, die dann endgültig mit dem Kanon von Michelangelo brechen und auch die Frau komplett anders darstellen und sehen, kann man noch einige Zeichnungen früherer Frauendarstellungen bewundern. Frauen sind zur Zeit Michelangelos und auch danach eine terra inkognita (zumindest auf dem Papier). Auch für Frauenakte – wie z.B. die Sybillen in der Sixtinischen Kapelle werden Männerkörper herangezogen, deren Körpern man versucht weibliche Anmut einzuhauchen. Die Darstellung einer nackten Frau wird mit Laster, Sittenlosigkeit und Geschlechtstrieb verbunden, die Sittenlosigkeit der Frau (Eva) bringt den Tod und Sünde. Tugendliche Frauen sind in weite wallende Gewänder verhüllt, das nackte Gegenteil davon sind die Hexen oder die verführerische Venus.
Diese Darstellungsweise ändert sich in den Bildern von Klimt und Schiele, wobei beide andere Sichtweisen präsentieren. Gustav Klimts präsentiert die Frau in ihrer Schönheit mit ausgeprägten Linien und eigenständiger Identität, während Egon Schiele in seinen Akten die Sexualität betont und auch vor Hässlichkeit nicht zurückschreckt.
Es ist also eine Ausstellung, die viel über Michelangelo erzählt, aber auch weit über ihn hinausgeht. Unbedingt sehenswert.
Ein Tipp: Zur Ausstellung ist ein „Audioguide“ in mehreren Sprachen erhältlich, den man sich in der Albertina auf sein Smartphone über Wlan herunterladen kann (für 3 Euro). Nehmt daher Kopfhörer mit. Es geht zwar auch ohne, aber ich hätte es trotzdem bequemer mit Kopfhörern gefunden.
Die Ausstellung ist bis 14 Jänner 2024 zu sehen, die Abertina ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, am Mittwoch und am Freitag sogar bis 21:00 Uhr.