In der neuen Sonderausstellung im museum gugging taucht man bis 31.8.2025 in einzigartige Universen ein.
Das museum gugging zeigt zum ersten Mal die Werke der uruguayischen Künstlerin Magalí Herrera im deutschsprachigen Raum. Zu sehen sind außerdem zwölf Briefe und eine Auswahl persönlicher Dokumente aus dem Archiv Herreras.

Magalí Herrera wurde 1914 in Rivera, Uruguay, geboren und stammte aus einer angesehenen Familie. Sie erlernte im Selbststudium, Tanz, Schauspiel und Fotografie, schrieb Gedichte und Science-Fiction Geschichten, arbeitete als Kulturjournalistin und begann schließlich mit fast 40 Jahren zu malen. Ab den frühen 1960er Jahren widmete sich ausschließlich der Malerei, wobei ihre Werke in einem tranceähnlichen Zustand entstanden, der sie oft Tag und Nacht in Anspruch nahm.

Schon beim Eintritt in die Ausstellung nehmen ihre Bilder den Besucher auf seltsame Art und Weise gefangen. Aus Punkten und Strichen sind eigenartige Universen zusammengesetzt, die mich von Anfang an fasziniert haben. Sie erscheinen wie eine Einladung in einen eigenen Kosmos zu sein.

Man steht staunend knapp vor den Bildern und bewundert die Feinheit der Punktsetzung und der Striche, um später dann wieder die Werke aus der Distanz zu betrachten. Einige ihrer Motive sind großflächig an den Wänden angebracht, um ihre Technik im Detail besser studieren zu können. Dennoch strahlen sie ihre ganze Wirkung eigentlich erst so richtig in der Ursprungs-Bildgröße aus.

Herrera muss eine starke, einzigartige, aber auch sehr verletzliche Persönlichkeit gewesen sein. Auf der einen Seite sieht man sie als einzige weibliche Teilnehmerin einer Schach-Competition, auf der anderen Seite zeigen ihre Briefe an Jean Dubuffet eine empfindsame, verletzliche Frau.

Mit jenem Jean Dubuffet, der den Begriff Art Brut geprägt hat, führte sie einen leidenschaftlichen Briefwechsel, nachdem sie während ihrer Zeit in Paris bei einer Ausstellung Art Brut Werke kennen gelernt hatte und gleich in deren Welt eingetaucht war.

„Liebe Freundin Magalí Herrera, sie verspüren den Wunsch, wie Sie schreiben, ein Lichtfunke in dieser Welt zu sein, und genau das sind Sie auch,“ schwärmte Jean Dubuffet in einem seiner vielen Briefe. 12 dieser Briefe sind auch in der Ausstellung zu finden, in deutscher und englischer Übersetzung.

Und obwohl Dubuffet Herrera gerne persönlich kennen gelernt hätte und dies auch möglich gewesen wäre, blieb es eine platonische und leidenschaftliche Auseinandersetzung auf Distanz. Herrera bestand darauf, es bei einer Brieffreundschaft zu belassen. Diese Korrespondenz half ihr, eine neue Bedeutung in ihren bildnerischen Arbeiten zu finden.

Bei ihrer Arbeit überließ sich Herrera ganz ihrer Fantasie und schuf damit Werke, die eine Art inneren Kosmos widerspiegeln. Sie verwendete schwarze oder weiße Tusche, teilweise Gouache auf weißem, schwarzem oder farbigem Papier, arbeitete mit hochpräzisen Kalligrafiepinsel und schuf Kompositionen aus Punkten und Linien, die in ihrer Gesamtheit Utopien darstellten.

Obwohl in eine eher begüterte Familie hineingeboren, durfte ihr Leben kein leichtes gewesen sein: Darauf deutet zumindest das Bild „El Alma del Hijo („Die Seele des Sohnes“, 1967) und das gleichnamige Gedicht (1968), das als Zeugnis einer tragischen Fehlgeburt gilt, hin.

In einem ihrer Briefe an Dubuffet beschreibt sie sich auch nicht nur als „wildes Tier ohne Sinn für Gesellschaft“ und dass sie „die Fröhlichkeit ihrer frechen und kraftvollen Jugend verloren“ hätte. Auch gesteht sie, dass es wenige Menschen gibt, die sie wirklich interessieren. Dubuffet allerdings schätzt sie sehr und sie fühlt sich auch sehr geehrt, dass er sie einlädt, ein Mitglied der Compagnie de l‘Art Brut zu werden.

1973 kommt es zu einem Staatsstreich in Uruguay, ein diktatorisches Militärregime übernimmt die Macht, die politische Opposition wird unterdrückt und viele KünstlerInnen verlassen das Land. Bereits 1971 schlägt sie in ihrem Briefen an Dubuffet vor, ihm all ihre Werke zu überlassen, um im Gegenzug ein Atelier in Paris oder in der näheren Umgebung zu erhalten. Doch sie erhält keine Antwort und ist auch nicht in der Lage eine Reihe großformatiger Werke nach Frankreich zu bringen. Im Frühjahr 1973 versendet sie allerdings acht Zeichnungen auf feinem Papier. Durch einen Generalstreik in Uruguay kommt das Paket allerdings erst im August in Paris an.

1974 schreibt Herrera im Jänner Dubuffet, dass er zwei ihrer Werke abholen könne, die seit 1972 im Atelier Jacob von Alain Bourbonnais aufbewahrt werden, was er auch im Juli macht, Es ist der letzte Kontakt zwischen Dubuffet und Herrera.

1977 schreibt Herrera an den neuen Direktor der Collection de l’Art Brut, Lausanne, wegen der Schenkung ihrer Werke.
1980 kommt es in Montevideo zu einer Retrospektive mit 90 ihrer Arbeiten.

1992 wird sie aufgrund von körperlicher und psychischer Schwäche in einem Altersheim untergebracht, was sie später als „Albtraum“ bezeichnet. Bei der Rückkehr muss sie feststellen, dass in ihre Wohnung eingebrochen worden war. Am 30. September desselben Jahres beendet Magalí Herrara ihr Leben.

1994 erfüllt ihr Mann Rubén Núñez ihren Wunsch und schenkt der Collection de l’Art Brut, Lausanne, 64 Arbeiten sowie das Archiv der Künstlerin. 1996 wird die erste monografische Ausstellung von Herreras Werk in Europa in Lausanne gezeigt.

Bis 31. August 2025 sind ihre Werke im zu sehen und man kann sich nun erstmalig im deutschen Sprachraum in ihren faszinierenden Kosmos hineinversetzen. Die Ausstellung entstand durch eine Kooperation mit der Collection de l'Art Brut, Lausanne. Kuratorin Pascale Jeanneret wählte über 80 Werke der Künstlerin aus, die so einen Überblick über ihr ganzes Lebenswerk geben.
Wer die Person Magalí Herrera ein bisschen besser verstehen möchte, sollte sich aber unbedingt Zeit nehmen und zu mindestens in einige der Briefe hineinlesen.

Das museum gugging ist Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet, Montags ist geschlossen.
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