Ich gestehe es gerne ein: ich bin ein Riesen-Helnwein-Fan und diese Ausstellung zu besuchen, war ein Muss für mich …
Vielleicht gefallen und berühren mich die Arbeiten von Gottfried Helnwein so sehr, weil ich (fast) zur gleichen Zeit wie er in Wien aufgewachsen bin. Auch in unserer Familie wurde selten über die NS-Zeit gesprochen, ich habe erst viel später erfahren, dass in der näheren Umgebung meines Aufwachsens ein Außenlager von Ausschwitz gelegen ist und bei einem Angehörigen der Familie wurde – hinter vorgehaltener Hand – vermutet, dass er Schreckliches im Krieg erlebt haben musste. Erzählt hat er nie etwas davon – und gefragt wurde er auch nicht.
Das „Verbergen“, „Vermuten“ ist mir also aus meiner Kindheit wohlbekannt – auch das gezielte Wegschauen, nicht Auffallen – das „macht man eben so“ und eine gewisse Autorität.
Vielleicht ist es dieser Background, der seine Bilder so anziehend für mich macht. Auch unsere Beziehungen zu Entenhausen sind ähnlich.
Es war mein Vater, der mir diese Hefte (gegen den Widerstand meiner Mutter) aus der Trafik mitbrachte und auch gerne las. In der Schule jedoch wurden sie als Schundhefte verurteilt und es wurde daran gezweifelt, ob man überhaupt bildungsfähig war, wenn man sich für Donald Duck, Dagobert und Micky Maus interessierte.
Helnwein bietet aber noch so viel mehr in seinen Bildern. Einerseits verquickt er die Wirklichkeit mit der Fiktion, doch diese ist – wenn man genauer nachdenkt, dann doch wieder die Wirklichkeit. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Bild Epiphany 1 (The Adoration of the Magi 3) aus 2013.
NS-Männer stehen um eine junge Frau herum, die einen männlichen Säugling in der Hand hält. Das Bild gab es in Wirklichkeit – allerdings bewunderten die NS-Soldaten Adolf Hitler, den Helnwein ausgetauscht und durch die junge Frau mit Kind (Jungfrau Maria) ersetzt hat.
Es ist großartig wie dieses Bild zum Nachdenken einlädt: Über die NS-Zeit, Heldenverehrung, Religion, Stellung der Frau heute und damals, und wahrscheinlich noch viel mehr …
Das ist es genau das, warum ich die Werke des Künstlers liebe. Sie laden nicht nur zum Nachdenken ein, sie fordern es einfach heraus.
Meine erste Begegnung mit seinen Bildern war „Der Schrei“. Es tut fast körperlich weh, sich mit diesem Bild auseinanderzusetzen. Doch warum? Wegen der Wunden? Die eigentlich nicht zu sehen sind? Oder wegen der darin verborgenen Aussage, dass wir weder Schauen dürfen noch Reden noch Denken? Ist der Schrei ein „Aufschrei“ gegen die Ohnmacht und zugleich Protest?
Micky Maus und Donald
Micky Maus ist eigentlich nicht – wie bei Walt Disney – die tolle, gescheite Maus, sondern eigentlich eher ein durchtriebener Charakter. Vielleicht sogar ein bisschen hinterlistig, auf ihren eigenen Vorteil bedacht.
Sie tritt in Helnweins Bilder teilweise dämonisch grinsend auf. Sie trifft sich im Gespräch mit Adolf Hitler und es scheint kein Streitgespräch, sondern eher eine Unterhaltung unter Freunden zu sein. Während der eigentliche Held, Donald, ziemlich allein und verlassen auf der Straße steht.
Ein Sinnbild, wie es sich manche eben richten? Und wie der große Teil der Bürger brav und verloren seinen Tätigkeiten nachgeht?
Die Kinder
Kinder sind ein zentrales Thema im Schaffen von Gottfried Helnwein. So meint er ja auch, dass die Kindheit wohl die schönste und kreativste Zeit im Leben der Menschen sein sollte. Eine Zeit des Lernens, Ausprobierens, Schöpfens und das all diese guten Eigenschaften den Kindern später „aberzogen“ werden. Auch Picasso meinte: „Als Kind ist jeder ein Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben“.
Helnwein zeigt in vielen Bildern die Ohnmacht der Kinder auf. Für ihn ist nicht nur die physische Unversehrtheit wichtig, sondern auch die psychische. Sieht man die Serien der „verletzten, verbundenen“ Kinder an, führt die Betrachtung fast zu körperlichem Schmerz.
Auf der anderen Seite hat er mit seinen monochromen Zyklen in Blau- und Rottönen Kinder gezeichnet, die in sich selbst ruhen, ruhig schlafen – einen entspannten Ausdruck besitzen und in den Farben fast zu verschwinden drohen.
Gewalt und Krieg
Diskutiert wurde auch über seine Bilder, in denen er z.B. ein Mädchen mit einer MP in der Hand abbildete. Dieses Motiv war einst am Ringturm in Wien abgebildet und ist jetzt auch in der Ausstellung zu sehen.
Über das Motiv wurde diskutiert – über die Lage der Kinder, die von Sprengfallen verletzt oder denen als Kindersoldaten Waffen in die Hand gedrückt wurde und wird, oder über die laufenden Schussattentaten in den Schulen (vor allem in den USA), hörte man allerdings kaum Protestnoten.
In der Ausstellung sieht man auch Bilder, bei denen Helnwein Kriegsbilder mit den – derzeit sehr beliebten – Mangas und Animes verbindet. Auch hier lädt der Kontrast dieser Darstellungsweise den Betrachter wieder zum Nachdenken ein.
Faszinierend finde ich auch die Technik. Betrachtet man seine Werke von weiter weg, wirken sie wie Fotoaufnahmen, erst beim Betrachten in der Nähe kann man einzelne Farbtropfen erkennen.
Wer mehr über Helnwein wissen möchte, solltet ihr nicht nur die Ausstellung besuchen, sondern auch einen Blick auf seine Website und dort besonders in seine Zitatensammlung machen. Sie zeigt sowohl den Menschen wie auch den Künstler Helnwein näher.
Von mir auf jeden Fall: Große Empfehlung zum Besuch der Ausstellung, die noch bis 11. Februar 2024 in der Albertina zu sehen ist. Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen.
Die Albertina ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr und am Mittwoch und Freitag sogar bis 21:00 Uhr geöffnet.