Ein einzigartiges Figürchen ist im Goldkabinett des Naturhistorischen Museums bis zum 31.7.2025 zu sehen. (Foto © Institute of Archaelogy of the Albanian Academy of Sciences (ASHSH), Tirana / Paul Getty Museum, Los Angeles)
Man könnte sagen, ein Albaner – oder eine Albanerin? – ist zu Gast im NHM. Eine kleine Reiterfigur, bereits 2018 in der kleinen antiken illyrischen Stadt Arnisa im Dorf Babunja nahe dem antiken Apollonia gefunden wurde, lässt den Betrachter staunen.

Allein schon seine Entdeckung ist eine Sensation: die Figur wurde nämlich nicht bei den Ausgrabungen in der Stadt gefunden, sondern in der Nähe der Ausgrabungsstätten auf einem Feld. Forscher vermuteten auch in der Umgebung Fundmöglichkeiten, gingen daher die Felder nach dem Umpflügen der Erde durch die Bauern ab – und wurden fündig.

Beeindruckend ist aber nicht nur die Fundstelle, sondern vor allem die Figur an sich und ihre Geschichte der Restaurierung. Wenn man die ersten Bilder nach ihrer Entdeckung sieht und später die Statue betrachtet, kann man nur den Experten des J. Paul Getty Museum gratulieren, die Anfang 2022 mit ihrer Arbeit begannen.
So können wir heute die kleine Reiterfigur im Goldkabinett des NHM in seiner ganzen Pracht betrachten. Die Figur sitzt auf einem Pferd und greift mit der Linken in die nicht mehr erhaltenen, separat angefügten Zügel, den rechten Arm weit nach hinten gestreckt – möglicherweise gerade zu einem Speerwurf ausholend.

Über die rechte Schulter sieht man den Riemen eines Schwertgehänges, von dem sich Knauf und Teile des Schwertes erhalten haben. Ein Stift am Kopf des Reiters lässt vermuten, dass er ursprünglich einen Helm getragen hat.
Das Pferd hat mich fast noch mehr als sein Reiter beeindruckt: Wundervoll ist seine Mähne gestaltet, auch der Schweif ist sorgsam geflochten. Im Maul die zurückgezogene Gebiss-Stande und die geweiteten Nüstern.

Und all dies – so nimmt man an – wurde in der Zeit zwischen 510 und 490 vor Chr. gefertigt. Ein hochwertiger massiver Guss aus Zinnbronze mit Spuren von Blei, wahrscheinlich in einem Wachsausschmelz-Verfahren hergestellt. Ausgeführt wurde es wahrscheinlich in einer griechischen Werkstatt, entdeckt bei albanisch-deutschen Forschungsarbeiten nahe dem antiken Apollonia.
Möglicherweise wurde die Bronzestatuette als Weihgabe von Angehörigen der einheimischen illyrischen Elite in einem Heiligtum geopfert. Durch ihren Fundplatz außerhalb der Grabungs- und Forschungsstätten ist aber der Rückschluss auf ihre „Verwendung“ schwer möglich. Allerdings zeigt sich, dass die illyrische Elite die griechische Kunst, ihre Lebensweise und ihr Geistesleben zu schätzen wusste.

Auch österreichische Archäologen haben immer wieder mit ihren albanischen Kollegen an der Erforschung der Geschichte gearbeitet. So ist es nicht nur gelungen, diese einzigartige Figur kurze Zeit erstmals außerhalb von Albanien nach ihrer Restaurierung der Öffentlichkeit zu zeigen, sondern ging auch während einer Tagung Fragen der materiellen Kultur und ihrer Prestigegüter, der Handelswege und Kommunikationswege zwischen Mitteleuropa und dem Balkan im 1. Jahrtausend v.Chr. nach.
Wenn ihr also z.B. wieder die Saurier besucht, die Neuaufstellung der Amphibien und Reptilien oder im Saal der Eiszeitkinder vorbeischaut – bis Ende Juli solltet ihr zumindest einen Blick ins Goldkabinett werfen. Immerhin verdient auch der Goldschatz von Ebreichsdorf einen Blick und andachtsvolles Staunen.

Das NHM Wien ist von Donnerstag bis Montag, von 9:00 bis 18:00 Uhr und am Mittwoch von 9:00 bis 20:00 Uhr geöffnet. Dienstag ist geschlossen.
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