Die neue Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum präsentiert ein gerade heiß diskutiertes Thema und sie ist einen Besuch wert. Für alle!
Die Ameisen! Sie sind die ersten die gleich bei der ersten Treppe im Naturhistorischen Museum auf die Sonderausstellung aufmerksam machen. Eine richtige Ameisenstraße führt die Treppe hoch in den Saal 21 und 22, wo die neue Ausstellung aufgebaut ist.
Frei nach Harry Potter erwarten den Besuchern vier „Kammern“: Die Kammer des Lebens, die Kammer der Krümel, die Kammer des Wissens und die Kammer des Schreckens.
Keine Angst, es sind keine richtigen Kammern und der Besuch ist auch für kleine Naturwissenschaftler empfohlen, für sie hat man sogar eigene, leicht erreichbare Stationen zum Begreifen, Anschauen, Streicheln und Austesten in die Ausstellungswände integriert.
Die Kammern sind – bis auf die mittlere – eher Schneckenhäuser, die uns mehr und mehr in das jeweilige Thema hineinziehen. Und dass dieses Thema wichtig ist, sagt jeden von uns der – vielzitierte – Hausverstand.
Der Boden unter unseren Füßen lebt!
Denn der Boden lebt, wenn wir ihn nicht versiegeln oder verseuchen und damit unbrauchbar machen. Obwohl wenig erforscht, tummelt sich unter unseren Füßen ein riesiges unbekanntes Universum, deren Bewohner unter anderem dafür sorgen, dass tote Tiere wie von selbst verschwinden, Nährstoffe dem Boden zurückgegeben werden, der Boden auch weiterhin Kohlenstoff aufnehmen kann, Wasser durchlässig ist und vieles mehr.
Am Eingang grüßt der Schrecken aller Gartenbesitzer, der Maulwurf, die Besucher und erinnert vielleicht manchen daran, dass man ihn nicht vertreiben sollte, sondern auch seine Hügel Sinn machen. Gleich danach zeigt sich, dass es auch im Untergrund um jagen und gefressen werden geht: Eine Raubmilbe erbeutet gerade einen Springschwanz. Ich gestehe von Milben schon gehört zu haben, aber Raubmilben? Springschwänze?
Keine Ahnung bis jetzt gehabt. Da ist es gut einen Schritt weiterzumachen und auf ein Stück „Boden“ zu steigen. Denn dann erfährt man wie viele und welche Lebewesen (berechnet aufgrund der Größe des Schuhabdrucks) an einer durchschnittlichen Stelle im Boden leben. Unglaublich! Nicht nur die Anzahl, sondern auch die Vielfalt. Und kaum eines dieser Lebewesen war mir so richtig bekannt.
Damit sind wir schon mitten in der Kammer des Lebens angekommen.
Die Kammer des Lebens
Hier stehen die Biologie, Vielfalt, die Lebensweise und die ökologische Bedeutung der Bodentiere im Fokus. Die Leistung der vielen Organismen im Boden, wie das Recyclen von Nährstoffen, aber auch die Aufgaben der Zersetzergilden (Bakterien und Pilze, Regenwürmer, Insektenlarven, Asseln und Milben) und ihr Zusammenspiel wird dargestellt.
Doch es geht im Untergrund auch „kriegerisch“ zu und so erfährt man auch mehr über die unterschiedlichen Jagdstrategien und die Abwehrmechanismen exemplarisch ausgewählter Bodentiere.
Eine Riechstation präsentiert den BesucherInnen den Geruch verschiedener Abwehrsekrete. Ich kann nur warnen: beim Behälter mit der Buttersäure sollte man seine Nase ja nicht zu tief hineinstecken.
Die Kammer der Krümel
Es gibt – man glaubt es kaum – Hunderte verschiedener Bodentypen. In der Kammer der Krümel wird der Boden als Lebensraum, Nahrungsquelle und Wasserspeicher vorgestellt.
Wie kann Boden entstehen? Welche Ausgangsgesteine und Umweltfaktoren sind maßgeblich, welche Bodenmechanismen. Außerdem kann man ausprobieren, welche Art Boden gut wasserdurchlässig ist und welche weniger.
Die Kammer des Wissens
Was wissen wir eigentlich über den Boden, seine Bewohner und ihre Interaktionen? In dieser Kammer werden ausgesuchte aktuelle Forschungsprojekte vorgestellt, und die Frage geklärt, warum es so wichtig ist die Zusammenhänge der Bodentiere und ihren Lebensraum zu untersuchen.
Forschung in Extremlebensräumen, die Besiedelung von Böden, die Folgen des Klimawandel stehen unter anderem am Programm.
Die Kammer des Schreckens
Geht’s dem Boden gut, geht’s uns allen gut, könnte man in einer Abwandlung eines politischen Slogans der Neuzeit sagen. Aber wir passen leider nicht auf unseren Boden auf. Seit Jahrhunderten haben Erosion, Überdüngung, Entwässerung, Pestizid-, Schwermetall-, Salz- oder andere Schadstoffbelastungen, aber auch Bodenverdichtung und -versiegelung gravierende Auswirkungen auf das Ökosystem Boden.
Über kurz oder lang beeinflusst dieses Handeln auch den Menschen: die Biodiversität nimmt ab, der Boden verliert seine natürliche Fruchtbarkeit, die landwirtschaftliche Anbaufläche schrumpft und die Lebensmittelversorgung wird problematischer. Auch die Regulierung des Wasserhaushalts wird eingeschränkt, wenn Moor- und Auenböden ihre natürliche Pufferfunktion verlieren.
In der Kammer des Schreckens werden die Einflüsse der Menschen auf die Bodenökosysteme gezeigt und was zu tun ist, um dieser Gefährdung entgegenzuwirken.
Gang der Visionärinnen und Visionären
Nach dem Besuch der Kammer des Schreckens sollten wir als Besucher nachdenken, was jeder von uns tun kann. Und nein – auch ich will nicht zurück in die Steinzeit und ich will auch nicht bei Kerzenschein meine Abende verbringen (außer bei einem romantischen tête à tête).
Also sollten wir uns die Zeit nehmen und jenen Menschen zuhören, die versuchen uns Handlungsoptionen zu zeigen. Vielleicht ist ja einiges dabei, dass auch für euch mitmachen lohnt.
Ein Stückchen weiter noch und im Raum 22 verraten uns WissenschaftlerInnen des NHM Wien und des Umweltbundesamtes an drei Forschungssäulen, warum der Boden und seine Bewohner so wichtig sind, und geben uns Einblick in ihre Forschungsarbeiten.
„Natürlich“ höre ich wieder einige sagen: „immer die Wissenschaft, die den Teufel an die Wand malt. Die Klimaschützer! Die Linken! Die Grünen! Alles nur Propaganda!“ Hört und seht es euch trotzdem an. Kommt raus aus der Blase und – und das wird ja immer gefordert – benutzt euren Hausverstand.
Den haben wir alle. Wir müssen handeln, denn der Boden, der uns nährt und der uns schützt, braucht lange um zu entstehen. Er speichert Kohlenstoff, ist wichtiger Verbündeter im Klimawandel und selbst wer an diesen nicht glaubt, muss zugeben, dass Überschwemmungen zugenommen haben. Der Boden, der noch übrig ist, kann das viele Wasser nicht mehr aufnehmen.
Und ja, es gibt eine österreichische Bodenstrategie, die besagt, dass anstelle der 11 Hektar nur mehr 2,5 Hektar Boden versiegelt werden dürfen. Aber wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Wenn man dann noch hört – und es auch mit Zahlen belegt bekommt – wie viele versiegelte Flächen leer stehen, wie viele Ortskerne für unsere Einkaufszentren am Ortsrand mit weiterer Bodenversiegelung sterben mussten und müssen, wäre da nicht ein Umdenken angesagt?
Aber was die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen betrifft. Wahrscheinlich ist es leichter, noch mehr zu düngen, noch mehr Pestizide einzusetzen, genmanipulierte Pflanzen zu „erfinden“, doch was passiert mit dem Boden und seiner Population? Vieles wissen wir noch nicht, aber eines ist sicher: Wir sollten auf unsere Böden, die dünne Haut unserer Erde mehr Acht geben.
Und versuchen, dort wo es möglich ist, unsere „Missetaten“ wieder auszubessern. Renaturierung und Nutzung mit Hausverstand ist angesagt, nicht reine kommerzielle Ausbeutung.
Zu der Ausstellung gibt es viele Führungen, Vorträge, ein tolles Familienprogramm und einiges mehr für wissenshungrige große und kleine Besucher. Weitere Informationen und die genauen Termine findet ihr hier.
Das Naturhistorische Museum Wien ist von Donnerstag bis Montag von 9:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, am Mittwoch von 9:00 bis 20:00 Uhr. Dienstag ist das Museum geschlossen.
Hier noch ein schneller Rundgang durch die Ausstellung: