Noch bis zum 9.2.2025 zeigt die Albertina eine große Ausstellung über Chagall. Mein Tipp: Unbedingt ansehen …
Es ist die „Abschiedsausstellung“ des scheidenden Direktors der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, der bereits einmal, 2004, einen der größten Künstler des 20. Jahrhunderts präsentierte.
Zu Marc Chagall hatte und habe ich immer ein zwiespältiges Verhältnis: einerseits faszinieren mich seine bunten Farben, seine fliegenden Gestalten und vor allem die Pferde, die Traumwelt, die teilweise hinter dem vordergründigen Bild zu liegen scheint. Andererseits tue ich mir schwer mit dem Auflösen des Realistischen, mit manchen eckigen Kanten und abgetrennten Köpfen.
Die derzeitige Ausstellung in der Albertina macht es jedoch Unkundigen wie mir leicht, Marc Chagall besser zu verstehen und kennen zu lernen. In kurzen Videos erfährt der Besucher jeweils mehr über sein Leben und seine Lebenssituation. Damit wandert man mit seinen Bildern nicht nur durch seine Geschichte, sondern auch durch die Geschichte Russlands und des Kontinents.
Sein Leben
Chagall wurde 98 Jahre und während dieser Zeit hat er viel erlebt und musste er viel erleben.
Marc Chagall wurde 1887 in Witebsk, einem kleinen jüdischen Schtetl, im damaligen russischen Zarenreich – heute Belarus - in eine jüdisch-orthodoxe Familie hineingeboren. In vielen seiner Bilder wird er sich später immer wieder an seine Heimatstadt und den beschwerlichen Alltag der jüdischen Bevölkerung erinnern.
Früh reift bei ihm der Wunsch Künstler zu werden und er schafft es mit 13 in eine private Malschule einzutreten. Es entstehen realistische Bilder des jüdischen Alltags: er malt seine Familie, das Leben im Schtetl und die großen Themen des Lebens: Geburt, Liebe und den Tod.
Später lernt er in St.Petersburg die westeuropäische Kunst kennen – Paul Gauguin, Henri Matisse und die Fauvisten – Experimente mit grellen, naturfernen Farben beginnen. Er kommt mit Sammlern und Mäzenen in Kontakt, die ihm 1911 eine Reise nach Paris ermöglichen, um sein Studium fortzusetzen.
In Paris besucht er Museen und Galerien und beginnt mit dem Kubismus zu experimentieren, spielt mit engen Bildausschnitten, mit verzerrten Räumen und der dekorativen Auflösung der Bildfläche. Regeln in der Kunst lehnt er ab, sie soll alleiniger Ausdruck eines Seelenzustandes sein. Die Themen seiner Heimat, die sich in seinen Bildern widerspiegeln finden Anklang bei der literarischen Avantgarde.
1914 kehrt Chagall in seinen Heimatort zurück, eigentlich will er nur kurz bleiben, aber der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindert seine Rückkehr nach Paris. Während seines achtjährigen Aufenthalts in Russland engagiert er sich für die Vermittlung der Kunst, gründet eine Malschule, doch bald passt sein Stil nicht mehr zu den Idealen der abstrakten Avantgarde. Chagalls Kunst wird für altmodisch erklärt. 1920 übersiedelt er nach Moskau und kehrt schließlich nach Paris zurück.
Chagall hofft hier an seine früheren Erfolge anschließen zu können, doch die zurückgelassenen Bilder sind verloren. Dennoch beginnt nun wahrscheinlich eine der glücklichsten Zeiten in seinem Leben. Er besinnt sich seiner alten Motive und malt Wiederholungen und Neufassungen seiner verlorenen Bilder, die vom Publikum und Sammlern begeistert aufgenommen werden.
Seine Motive zeichnet eine neue Leichtigkeit aus, der Farbauftrag wird zarter, transparenter, man sieht schwebende Blumensträuße, geflügelte Wesen, Fabelwesen aus Mensch und Tier.
Mit der Machtergreifung Hitlers beginnt die Diffamierung von Chagall als „entarteter“ Künstler, seine Bilder werden öffentlich verbrannt, Chagall flieht in den Süden Frankreichs, entscheidet sich aber 1941 zur Flucht nach New York. Hier trifft er unter den Exilanten Freunde von früher. Doch er bleibt ein Fremder in einem fremden Land, weigert sich Englisch zu lernen, sehnt sich nach Frankreich zurück und kreiert in seinen Bildern Traumwelten, um aus der Realität entfliehen zu können.
1944 stirbt seine Frau Bella, die er in Russland geheiratet hatte, überraschend. In seinen Bildern versucht er die Erinnerung an die gemeinsame Zeit wachzuhalten: Liebes- und Hochzeitspaare schweben durch die Luft, doch die Wehmut ist im Ausdruck anzumerken.
Biblische Szenen entstehen, die weit über die Religion hinausgehen und die gegenwärtige politische Situation reflektieren. Die Kreuzigung und das Leiden Christi ist für ihn von zentraler Bedeutung uns steht für ihn stellvertretend für das Leid der Juden.
Ebenso faszinierend wirkt das Zirkusleben auf Chagall. Das Leben der Akrobaten hat ihn schon in seinen Kindertagen fasziniert und nun findet er im fahrenden Zirkusvolk auch eine Parallele zu seinem heimatlosen Leben. Hier spiegeln sich die Sehnsucht nach Freiheit und nach der Möglichkeit der Realität zu entfliehen.
1948 kehrt Chagall nach Frankreich zurück, Bilder seiner Liebe zu Paris, aber auch seiner Verbundenheit zur alten Heimat entstehen und die Themen vermischen sich teilweise. Immer wieder tauchen Hochzeits- und Liebespaare auf, die Liebe wird in den Bildern als höchstes Gut und Ausgangspunkt für alles Schöpferische gefeiert.
Schließlich übersiedelt er an die Côte d’Azur, wo er Matisse und Picasso trifft und seine zweite Heimat findet. Chagall kann sich über Retrospektiven und monumentale Aufträge wie die Ausstattungen der Opernhäuser in Paris und New York, sowie wichtiger Kirchen und Synagogen mit Glasfenstern freuen.
Seine Tochter Ida unterstützt ihren Vater, der noch zweimal heiraten wird und noch einen Sohn bekommt.
1985 stirbt Chagall im Alter von 98 Jahren in Saint-Paul de Vence.
Ich glaube, es ist ungemein wichtig, seinen Lebenslauf, seine Herkunft und seine Geschichte zu kennen. Damit entsteht ein ganz anderer Blick auf die Aussagekraft seiner Bilder.
Immerhin finden sich in der Ausstellung, die in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf entstanden ist über 100 Werke des Künstlers: von den frühen, zwischen 1908-1910 im Russischen Zarenreich gemalten Bildern, über die großen poetischen Kompositionen der Pariser Jahre bis hin zu jenen Großformaten, die Chagall bis in die 1980er Jahre in Südfrankreich gemalen hat.
Damit kann man die Vielfältigkeit des Künstlers während seines ganzen Lebens verfolgen. Ein Werk, dass immer wieder neue Wege des Ausdrucks und der Umsetzung geht und sich doch immer wieder den wichtigen Themen des Mensch seins widmet. Berührend die "Liebesbilder", erschütternd manche der religiösen Darstellungen oder mancher Szenen des kargen Lebens in seinem Heimatdorf.
Und wenn mich auch manche Kunstexperten dafür "kreuzigen" werden, einige Bilder -besonders jene des Dorfes und die Darstellungen der Rabbiner erinnerten mich an Bilder von Arik Brauer. Auch seine Figuren schweben durch Raum und Zeit und der Ausdruck im Gesicht seines Vaters fand ich hier in manchen Gesichtern der Rabbiner wieder.
Die Albertina ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, Mittwoch und Freitag bis 21:00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der im Shop der Albertina, auch online, erhältlich ist.