Ronald Fricke: Lebe nahe bei dir Tag um Tag
Es ist ein Roman, der allerdings ziemlich nahe am tatsächlichen Geschehen liegen könnte …
Ronald Fricke erzählt in diesem Buch, das Leben von Rainer Maria Rilke und der Bildhauerin Clara Westhoff, die sich in Worpswede treffen, ineinander verlieben und heiraten.
Fricke erzählt von der Künstlerkolonie, von den Schwierigkeiten, die Frauen auch um 1900 noch hatten in der Kunstszene Ernst genommen zu werden. Clara Westhoff, die von der Malerei zur Bildhauerei gewechselt hat, wird das besonders bewusst: Schließlich wird die Malerei von Frauen eher als Hobby gesehen, aber Bildhauerei für Frauen? Undenkbar!
Rilke wird von Heinrich Vogler, einem Maler der Künstlerkolonie eingeladen und bleibt einige Zeit als Gast. Am Anfang scheint nicht ganz klar, ob er sich eher Clara oder ihrer Freundin Paula – die Malerin Paula Modersohn-Becker – zuwendet. Doch bald wird klar, dass sich Paula für ihren späteren Mann Otto Modersohn entscheidet. Der Kontakt mit Rilke bleibt aber über viele Jahre weiter bestehen.
Clara ist zunächst glücklich, hat sie mit der Heirat doch auch eine Bedingung ihres Vaters erfüllt, der sie als Künstlerin nicht mehr unterstützen wollte. Bald wird sie schwanger und damit auch aufgerieben zwischen ihrer Kunst, dem Haushalt und der Kindererziehung. Auch die finanzielle Situation ist nicht gerade rosig.
In dieser Zeit „entschwindet“ Rilke nach Paris zu Rodin und scheint auch wieder seine große Liebe Lou Andreas-Salomé zu treffen. Auch Clara entscheidet ihm nach Paris zu folgen und ihre Tochter bei ihren Eltern zurückzulassen. Allerdings bleibt in diesem Roman offen, ob sich die beiden wieder versöhnen und gemeinsam ihr weiteres Leben bestreiten …
Fricke schreibt den Roman mit dem Wissen aus vielen Dokumenten und Briefen von Rilke und der Künstlerkolonie, dennoch bleiben viele Gegebenheiten Fiktion und sind nicht belegbar. Beim Lesen hat man allerdings den Eindruck, dass es so gewesen sein muss – auch die Sprache des Buches ist der Zeit Rilkes und Westhoffs angepasst: genaue, detailreiche Beschreibungen der Natur, eine Ausdrucksweise, die an frühere Zeiten erinnert und nichts mit unserer kurzlebigen Zeit zu tun hat.
Vielleicht werden manche den Stil als langatmig beschreiben, mir hat es jedenfalls gefallen, das Buch mit Muße zu lesen.