Peter Pilz: Kurz. Ein Regime.
Peter Pilz, früherer Aufdecker der Grünen und der Nation, als Parteichef seiner eigenen Liste nicht ganz so erfolgreich, hat ein Buch über Österreichs Bundeskanzler und die politischen Zustände in diesem Land geschrieben.
Damit ihr meine Überlegungen zum Buch richtig einschätzen könnt, vielleicht vorab ein paar Statements:
Ich schätze Peter Pilz, auch wenn er vielleicht zur Gruppe der alten, weißen Männer gehört. Im Aufdecken von Missständen hat er Qualitäten, die man anerkennen muss und auch seine Rhetorik ist äußerst geschliffen und pariert (fast) alle politischen Angriffe.
Ich schätze Sebastian Kurz weniger. Ich finde seine Art sehr oft überheblich und seine Aussagen nichtssagend. Es ist die Sprache und das Herabsehen auf andere Ansichten, auf andere Lebensläufe, das Suchen nach Schuldigen, das „ich habe alles richtig gemacht“, das ich bereits bei Jörg Haider schlicht und ergreifend schrecklich und unserer Demokratie unwürdig gefunden habe. Und oben genanntes hat einmal grundsätzlich nichts mit meiner politischen Einstellung zu tun: ich fand auch die Art und Weise wie Helmuth Zilk mit „seinen“ Wählerinnen und Wählern umging nicht in Ordnung (um einen gelinden Ausdruck zu verwenden).
Außerdem hätte ich gerne, dass sich die Politik an Ingeborg Bachmann orientieren sollte: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Gerade in Zeiten wie diesen wäre es wohltuend – auch wenn es vielleicht verschiedene Wahrheiten gibt und nicht die eine absolute. Aber ich wäre über eine klare und deutliche Kommunikation äußerst erfreut.
Doch nun zu dem Buch. Piz beschreibt darin fast minutiös, die Machtübernahme der ÖVP durch die Gruppe um Sebastian Kurz. Beschreibt seine Strategie, benennt die engsten Freunde, Mitarbeiter, Weggefährten. Zeigt auf, was wie und wie gut oder wie schlecht funktioniert hat.
Ein Buch, das mich in doppelter Hinsicht erschüttert hat:
Erstens, dass es diese Vorgehen, diese Verbindungen, diese Seilschaften in Österreich anscheinend gibt und das Land daher weiter in eine Richtung gehen wird, die ich für demokratiepolitisch bedenklich halte und an deren Ende Mäzenatentum und Zweiklassengesellschaft (auch hier fiele mir ein anderer Begriff ein) stehen könnte und es nicht mehr um Zusammenhalt und Solidarität in einer Gesellschaft geht.
Zweitens, dass das Buch erschienen ist und noch am Markt ist. Denn das bedeutet für mich, dass der Inhalt und das Aufgezeigte wahr sind. Ich bin mir sicher, hätte sich Kurz nur die geringste Chance ausgerechnet bei einer Klage erfolgreich zu sein, hätte er diese eingebracht. Hätte ich auch gemacht, denn einige Aussagen kratzen ganz schön an seinem Image.
Doch das Buch steht weiter in den Regalen der Buchhandlungen.
Natürlich werden jetzt viele unseren Bundeskanzler verteidigen. Die häufigste Botschaft könnte lauten: die anderen haben das auch immer gemacht.
Kann sein. Mag sogar stimmen. Es wurde auch zu Zeiten „roter“ Alleinherrschaft einiges ans Tageslicht gebracht – und wir/ich waren auch damals entsetzt. Aber eines ist schon klar: es macht die heutigen "Vergehen“ deshalb nicht besser. Das kann doch nicht die Entschuldigung für ein Vorgehen in alle Ewigkeit sein.
Ich denke, wir alle wollen eine neue Art der Politik. Ich will und kann mir nicht vorstellen, dass es diese ist, die die Fans von Sebastian Kurz gewählt haben und die sie wollen. Wenn ja, dann sind wir wirklich selbst dafür verantwortlich, wenn wir in wenigen Jahren alle unsere sozialen Errungenschaften verspielt haben, nur weil wir es den „Flüchtlingen“ und den „Faulen“ neiden und wir alle werden in einer grauen und grausamen Welt aufwachen, denn das soziale Netz wird für uns nicht mehr gespannt sein.
Wer glaubt, dass er dann „oben“ mitspielen kann und nur die Leistung und Einsatzbereitschaft zählt, sollte dieses Buch lesen und ganz schnell ganz viel netzwerken. Es könnte allerdings schon zu spät sein, die guten Plätze scheinen bereits vergeben zu sein …
Lesenswert. Für alle.
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