Claudia Mende: Wir sind anders als ihr denkt
Unser Blick auf arabische Frauen ist sehr oft von Unwissenheit und Vorurteilen geprägt. Vielleicht gleich zwei Gründe, dieses Buch zu lesen.
In der westlichen Welt wird oft das Bild der passiven, unterdrückten, arabischen Frau gezeichnet. Früh gegen ihren Willen verheiratet, gezwungen vollverschleiert zu Hause auf ihren Herrn und Gebieter zu warten – ohne Rechte, ihrem Mann vollkommen ausgeliefert.
Für uns kaum vorstellbar, dass es in der arabischen Welt auch Unternehmerinnen, Menschenrechtsanwältinnen, Politikerinnen gibt. Und auch sie seit vielen hundert Jahren um ihre Rechte, gegen Gewalt und Selbstbestimmung über ihr Leben und ihren Körper kämpfen. War es nicht auch im Westen, in Europa ein langer Kampf? Hat es nicht auch bei uns bis Mitte 1989 gedauert, dass „Vergewaltigung in der Ehe“ strafrechtlich verfolg wird und dann auch nur wenn dies vom Opfer beantragt wurde? Erst 1975 durften Frauen ohne Zustimmung des Mannes arbeiten. Es hat also auch bei uns lange gedauert, Frauenrechte zu erkämpfen.
Claudia Mende blickt in diesem Buch auf die Anfänge des arabischen Feminismus zurück und begleitet seine Entwicklung bis in die Gegenwart. Wie im Westen ist auch diese Entwicklung mit Fortschritten, aber auch mit Rückschritten gekennzeichnet.
Wir tun allerdings gut daran, unseren „Schwestern“ auch zuzuhören, um zu verstehen, dass sie manches anders sehen als wir. So war es für mich interessant zu lesen, dass viele das Kopftuch nicht als Unterdrückung sehen, eher als einen Protest gegen die, sie ablehnende Gesellschaft.
Ebenso war mir neu, dass es Bewegungen und auch politische Parteien gibt, in denen Frauen verstärkt ihre Rechte einfordern können, den Koran interpretieren, ihn in einen historischen Kontext stellen. Es lassen sich viele Gemeinsamkeiten mit den Entwicklungen im Westen finden.
Auch das Kopftuch, das bei uns ja immer wieder als „Unterdrückung“ gebrandmarkt wird, kann – muss aber nicht aus Unterdrückung getragen werden. Gerade in diesem Punkt sollten wir mit unseren Interpretationen vorsichtig sein.
Ein wichtiges Buch, um die „andere“ Seite verstehen und akzeptieren zu können. Das bedeutet nicht – um hier gleich einen allfälligen Shitstorm vorwegzunehmen – dass wir uns hier im Westen anpassen sollen und müssen, aber es könnte helfen Brücken zu bauen. Integration und ein Miteinander kann nur gelingen, wenn man versucht, auch die andere Seite kennenzulernen und zu verstehen. Erst dann ist es möglich, gemeinsames und vielleicht auch trennendes herauszuarbeiten und in eine gemeinsame Zukunft zu gehen.