Eine neue, sehenswerte Ausstellung im Volkskundemuseum Wien.
Um es gleich klar zu stellen: Österreich ist ein Binnenland – unsere derzeitige „Küsten“ könnten sich höchstens auf Boden- und Neusiedler See beziehen. In der Vergangenheit jedoch hatte Österreich sogar eine Marine. Doch wenn auch in der Dauerausstellung im Volkskundemuseum auf längst vergangene Zeiten Bezug genommen wird, die „Küsten“ die in der Sonderausstellung gemeint sind, sind andere.

Die Sonderausstellung ist eigentlich eine Ausstellung in der Ausstellung. Ich empfehle euch daher auf jeden Fall entweder eine Führung mitzumachen oder das Handy mitzunehmen und den Erzählungen und Erklärungen auf der Website zu lauschen: https://audio.volkskundemuseum.at/tour/de/tour_kuesten/raum1.php

Wir haben die Ausstellung im Rahmen eines Vortrags über die Ausstellung besucht. Da wir zeitig genug im Museum waren, sind wir schon einmal alleine durch die Schauräume gegangen und ich muss gestehen, ich habe am Anfang gar nichts verstanden. Die Dauerausstellung beschäftigt sich mit österreichischer Volkskunst – von einem Bildnis Maria Theresias über wunderschöne alte Tiroler Kästen und Truhen, einer Bauernstube, alte handwerkliche Geräte, einem Kamin in der Figur einer Bauernsfrau gibt es viele interessante Gegenstände, die es zu bestaunen gibt und die mich mehr oder weniger interessiert haben.

Ich habe zwar die verschiedenen Statements auf den grauen „Balustraden“ rund um die Vitrinen gesehen, habe einige Aussagen auch gut und interessant gefunden, konnte aber eigentlich nicht so richtig etwas damit anfangen.
"Menschen werden zu Wölfen.
Statt geeint gegen die Mächtigen zu kämpfen,
beginnen Sie einander zu bekämpfen"
Genauso mit einigen Gegenständen, die in den Vitrinen ausgestellt waren und die ich nicht zuordnen konnte. Daher auch meine Empfehlung: entweder eine Führung oder Kopfhörer auf und Handy an. Die Hörspur, die man auf der Website des Museums nachhorchen kann ist sehr gut gemacht. Sie führt durch die Ausstellung, aber ist auch interessant zu hören, wenn man bereits durch die Räume gegangen ist.

"Wenn Du zahlst, darfst Du kommen."
Nach dem Vortrag war dann schon einmal der Titel der Ausstellung klarer: Auch an unseren Küsten „stranden“ immer wieder Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten müssen. So wie 2015 aus Syrien oder Afghanistan, so wie jetzt aus der Ukraine.

In einem Fellowship-Programm für hochqualifizierte AsylwerberInnen von Science Communications Research arbeiteten sieben Geflüchtete an dieser Ausstellung mit und halfen relevante Artefakte der österreichischen Volkskunde mit neuen Objekten von der Flucht zu verbinden.

Welche Ausstellungsobjekte sind wertvoller und wie bemisst sich ihr Wert? Wie das kuratorische Team erklärt, sind Sammlungsobjekte der Volkskunde zu einem großen Teil „genuin wertlos. Erst durch Interpretation und Kontextualisierung erhält das Objekt seinen sammlerischen Wert.“
"Die Sprache ist auch eine Zeitmaschine.
Als wir hierher gekommen sind, konnten wir kein Wort deutsch sprechen. Nach zwei oder drei Jahren konnten wir mit Freunden deutsch sprechen.
Das hat mit Zeit zu tun"
Und es sind die Geschichten, die uns einer der Kuratoren beim Rundgang erzählt, die einen Besuch so wertvoll machen. Hier ein paar Beispiele:
Die Flip Flops
Sie waren die einzigen Schuhe eines Flüchtlings in einem Flüchtlingsheim in Wien. Selbst als sie kaputt gingen, wurden sie von ihm immer wieder behelfsmäßig repariert.

Die Pfanne

Im Flüchtlingsheim war es anfangs verboten selbst zu kochen. Doch das Essen schmeckte nicht. So ernährte man sich anfangs von rohen Zwiebeln und Brot. Schließlich gelang es eine Pfanne und eine Elektroplatte ins Zimmer, das acht Männer bewohnten, zu schmuggeln. Mit dieser kleinen Pfanne wurde nun alles gekocht – vom Reis bis zum harten Ei.
"Eine Zeit lang aß ich nur Zwiebeln und Brot
- dreimal täglich"
Der Schwimmreifen

Eigentlich ist es ein Kinderschwimmreifen, der um die 3 Euro kostet. Bei der Überfahrt im Schlauchbot von der Türkei nach Griechenland wurden solche Schwimmreifen für 80-130 Euro angeboten. Allein die Schilderung von der Überfahrt in der schwarzen Nacht in einem schwarz schimmernden Meer, erzählt von jemanden der es selbst erlebt hat, berührt sehr.
"Wenn man keine gemeinsame Erinnerung hat,
dann bedeutet das Fremdheit."
Das Geld

Transport ist nicht nur für Produkte wichtig, sondern auch für Menschen, besonders für Flüchtlinge. Und hier kommt es wieder darauf an: Bist du arm oder reich? Während eine offizielle Überfahrt von der Türkei nach Griechenland 30 Euro kostet, wenn du einen Aufenthaltstitel besitzt, musst du ohne Aufenthaltstitel 1000 Dollar für die Überfahrt bezahlen.
"Was für uns der reinste Horror war,
könnte unter anderen Umständen ganz lustig sein."
Reisetasche – Müllsack

Ob eine Flucht gelingt, hängt oft davon ab, wie schnell man das Land verlassen kann. Viel kann man auf solch eine Reise nicht mitnehmen. Oft ist eine schnell gepackte Reisetasche oder auch ein Müllsack mit seinen Habseligkeiten alles, was die Menschen mit sich führen.
"Es geht nicht um Spaß, wenn man nach Europa kommt,
es geht um Menschlichkeit."
Wo reihen wir Flüchtlinge ein?

Wir alle neigen dazu, Flüchtlinge in bestimmte „Laden“ zu stecken. Eine Kuratorin meint, Flüchtlinge werden alle auf die Klasse Null reduziert – dabei ist auch die geflüchteten Menschen ganz unterschiedlich – eben ein Spiegel ihrer Gesellschaft.
"Ich wünsche mir, dass meine Erinnerungen ein Teil des österreichischen kollektiven Gedächtnisses sind"
Eine Tafel der Dauerausstellung zeigt uns, dass das „Einteilen“ in Klischees schon recht früh begann: Um es den Gesellen auf ihrer „Reis“ leichter zu machen, finden sich hier unterschiedliche Eigenschaften verschiedener Nationen zu ihrer Orientierung aufgeführt.

Dies sind nur einige Beispiele – das KuratorInnen-Kollektiv, dem Yarden Daher, Alexander Martos, Negin Rezaie, Ramin Siawash, Niko Wahl, Sama Yasseen und Reza Zobeidi angehören – erzählen bei Führungen, aber auch per Video in der Ausstellung viel Interessantes und Wissenswertes und regen uns zum Nachdenken an. Sie zeigen uns in dieser Ausstellung was das Warten auf den Asylbescheid mit dem Menschen macht, sprechen über Flucht, die Migration und das Ankommen.

Die Geschichte Österreichs ist auch eine Geschichte von Flucht und Migration. Eine Tatsache, die oft ignoriert und verdrängt wurde und wird. Wir sollten sie annehmen und das Beste daraus machen – nicht nur für uns, sondern auch für jene Menschen, die Hilfe und Schutz bei uns suchen. Vielleicht kann gerade diese Ausstellung dabei ein bisschen helfen.

Das Volkskundemuseum ist von Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Am Donnerstag von 10:00 bis 20:00 Uhr.
Nach dem Besuch der Ausstellung kann man im Hildebrandt Café Kaffee, Tee und weitere Schmankerl genießen.

Im Volkskundemuseum laufen zurzeit noch einige andere interessante Ausstellungen. Es lohnt sich also öfter vorbei zu kommen. Weitere Infos auch hier: https://audio.volkskundemuseum.at/main-de.php
Die Küsten Österreichs
Eine neue Sonderausstellung in Verbindung mit der Schausammlung des Volkskundemuseums Wien
Volkskundemuseum Wien
1080 Wien, Laudongasse 15-19
Tel: +43 1 406 89 05
Email:
www.volkskundemuseum.at
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